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Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Titel: Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha u. a. Mamczak
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ausgesprochen. Die erschreckende Realität wird dann ganz banal und beiläufig enthüllt: Kathy, Tommy, Ruth und die anderen Hailsham-Schüler sind Klone, deren einzige Bestimmung es ist, eines Tages nach und nach ihre Organe zu spenden. Ein düsteres Bild der extremen Blüten, die der medizinische Fortschrittsglaube zu treibenvermag; was aber Ishiguros Roman wirklich bemerkenswert macht, ist die Tatsache, wie wenig Platz diesem eigentlichen SF-Aspekt eingeräumt wird. Seine Protagonisten fügen sich in ihr Schicksal, wissen um ihre wahre Bestimmung, richten sich in ihren prädestinierten Leben ein, so gut es geht. Nach ihrer Schulzeit bewohnen sie verlassene Gutshöfe, sind weitgehend sich selbst überlassen, manche arbeiten als Betreuer der Spender, andere gehen direkt in die klinischen Zentren, um den Spendenprozess zu beginnen, an dessen Ende der »Abschluss« steht – im englischen Original treffender »completion«, Komplettierung und Bestimmung ihres kurzen Lebens. Die Tatsache, dass hier niemand ernsthaft versucht, seinem Schicksal zu entfliehen, nicht einmal große dramatische Momente der Panik und des Verzweifelns das Handeln bestimmen, sondern vielmehr eine leise Melancholie im Angesicht des Unvermeidlichen, rückt den Roman eher in die Nähe von Ishiguros »Was vom Tage übrig blieb« als in die Reihe vergleichbarer SF-Werke. Hier wie dort geht es um verpasste Chancen, um späte Erkenntnis und das sehr britische Spannungsverhältnis von Pflichtbewusstsein und Selbstverwirklichung. Der Unterschied ist, dass die Hailsham-Schüler noch expliziter um ihr Schicksal wissen als der alternde Butler Stevens – und letzten Endes wir alle. Der Tod ist unausweichlich, jeder muss das Beste aus seiner Zeit machen. Und genau das ist es, was Kathy, Ruth und Tommy versuchen – genau dieses Bewusstsein steht zunehmend im Mittelpunkt ihres Handelns. Und je schneller ihnen die Zeit davonläuft und sie der düsteren Wirklichkeit ihres Erwachsenenlebens entgegensehen, umso mehr verklären sie ihre Vergangenheit, wie Ishiguro in den nostalgischen Hailsham-Episoden und dem zu Tränen rührenden Schlusskapitel immer wieder verdeutlicht. Nun beginnen die Versuche, das Unvermeidliche hinauszuzögern, es werden Strategien entwickelt, um Aufschübe zu erhalten, mehr Zeit zu gewinnen, das Leben zu verlängern. Doch diese Bemühungen sind zum Scheitern verurteilt; was bleibt, ist das Bedürfnis, im Angesicht des Todes die schönen Momente zu konservieren, Liebe und Freundschaft zu erleben, den Weg gemeinsam zu Ende zu gehen. All das macht das leise Zweifeln an einer Gesellschaft, die dabei ist, das medizinisch Machbare entgegen aller ethischen Bedenken zur obersten Priorität zu erheben, viel kraftvoller als essayistische Kritik oder populistisches Traktat. Ein wirklich außergewöhnlicher, im allerbesten Sinne sentimentaler Roman.
    Wir werden alles essen, was auf den Tisch kommt, ehrlich!
    Alles, was wir geben mussten

    Seht ihr, auf Langeoog gibt es keine Klonkrieger.
    Alles, was wir geben mussten
    Für ihre Kinoadaption des Stoffes wählen Drehbuchautor Alex Garland ( The Beach, 28 Days Later, Sunshine ) und Regisseur Mark Romanek ( One Hour Photo ) einen strukturell anderen Zugang als Ishiguro. Die zeitliche Verschachtelung des Romans geben sie zugunsten einer linearen Erzählweise mit gelegentlichen Voice-Over-Kommentaren der Ich-Erzählerin auf; die SF-Grundlage der Geschichte offenbaren sie früher und unmissverständlicher. Dadurch entfällt zwar der Aspekt der nachträglichen Verklärung vergangener Erfahrungen einer scheinbar unbeschwerten Kindheit. Doch genau dieses Fehlen macht den Reiz der frühen Szenen des Films aus; denn dieses Hailsham wirkt nicht mehr wie ein sonnendurchflutetes Jugendparadies mit schön-schauerlichem Subtext, sondern erinnert vielmehr an ein Haunted House, bevölkert von den kleinen Klonen, die gelegentlich wie Wiedergänger der unheimlichen Kinder aus Das Dorf der Verdammten (1960) erscheinen. Dem
sentimentalen Ton des Romans wird hier eine dezente Horrorkomponente hinzugefügt, die durch die späteren expliziten Darstellungen des Organspendeprozesses noch verstärkt wird. Jenseits dieser äußerst effektiven Momente, die dem Ganzen eine zusätzliche Farbe verpassen, bleiben die Macher dem elegischen Ton des Romans jedoch treu und halten sich eng an den Plot, verdichten ihn dabei aber auf seinen Kern: das Liebesdreieck zwischen Kathy, Tommy und Ruth. Und das funktioniert in erster Linie so

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