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Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Titel: Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha u. a. Mamczak
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sich nicht auch selbst versteht.
    Das ist der ganze Unterschied.
    Das war der Erfolg Luhmanns.
    Das war die Tragödie Dicks.
    Sie erzählt zu haben, bleibt sein Sieg.
    Dietmar Dath ist Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Schriftsteller. Zuletzt ist sein Roman »Pulsarnacht« erschienen.

60. Internationale Filmfestspiele Berlin, 14. Februar 2010. Im Kino International steht das Special Event, die Weltpremiere eines mehr als dreistündigen, fast vierzig Jahre alten Fernsehfilms auf dem Spielplan, der nie zuvor auf der großen Leinwand zu sehen war und von dem man kaum glauben mag, dass er einmal auf 16mm gedreht worden ist. Mit an Bord: Ex-Kameramann Michael Ballhaus, Juliane Lorenz von der RWF-Foundation, Co-Autor Fritz Müller-Scherz sowie die Schauspieler Ulli Lommel, Günter Lamprecht, Ingrid Caven und Rudolf Waldemar Brem. Aber es ist nicht irgendeine Aufführung, vielmehr die von Ballhaus in die Wege geleitete und beaufsichtige restaurierte Fassung des größten deutschen Science-Fiction-Films der Nachkriegszeit, Rainer Werner Fassbinders am 14. und 16. Oktober 1973 erstmals von der ARD als Zweiteiler ausgestrahlte, jetzt als exzellente DVD von Arthouse Premium vorliegende WDR-Produktion Welt am Draht nach dem Roman »Simulacron-3« (1964) von Daniel F. Galouye, eine literarische Vorlage, von der sich bereits Jean-Luc Godards Fest für Cinephile Alphaville – Une étrange aventure de Lemmy Caution (1965; Lemmy Caution gegen Alpha 60 ) hatte anstecken lassen und die in Josef Rusnaks
kaugummiähnlichem Hollywood-Cyberirrsinn The 13 th Floor Ende der Neunzigerjahre erneut eine Rolle spielen sollte.
    Könnte sich der an der harten sozialen Realität orientierte Fassbinder, selbst ein gebrandmarktes Kind verhängnisvoller deutscher Geschichte und Verhältnisse und nicht weniger als der Hauptvertreter des Neuen Deutschen Films in den Siebzigerjahren, überhaupt für so ein facettenreiches, fachfremdes, ungewohntes Genre wie Science Fiction erwärmen? Fassbinder, einzigartig, unmöglich, unwiederholbar wie Bergmann oder Fellini, war ein vom Theater kommender, rigoros besessener Autodidakt, der sich wie Kubrick nie belehren, festlegen oder in die Irre führen ließ, ein provozierendes, revolutionäres Genie, das mit seinem glasklaren Blick auf unschöne Verhältnisse völlig unangepasst alles kurz und klein schlug, was ihm über den Weg lief, sich mit allem schonungslos anlegte, sich wie kein Zweiter auf der Leinwand offenbarte und denunzierte, ein Terrorist im Namen der Wahrheit und Menschlichkeit, der ehrlicher und unverkrampfter zu Werke schritt als alle anderen Regisseure des Neuen Deutschen Films zusammengenommen. Mit Fassbinder war der deutsche Film der Nachkriegszeit überhaupt erst ans Licht gekommen; umso deprimierender, dass er nie einen Nachfolger gefunden hat. Seine Themen und Qualitäten finden sich später eher im gleichfalls radikalen, gegen den Strom schwimmenden Werk von Pedro Almodóvar, Atom Egoyan, François Ozon, Gregg Araki, Krzysztof Kieślowski, Aki Kaurismäki oder Lars von Trier als bei Wenders oder Herzog, ganz zu schweigen von Wolfgang Petersen oder Roland Emmerich. Fassbinders Zeit war die eines zerrissenen Deutschlands zwischen Holocaust und Drittem Reich, Wirtschaftswunder und sexueller Revolution, zwischen Baader Meinhof und Berufsverbot, und der Neue Deutsche Film in einer Welt globalisierter Filmwirtschaft und wachsender US-Importe eine der letzten, vielleicht die letzte Bastion europäischer Filmbewegungen.
    Rainer Werner Fassbinder (1945–1982), bis heute aggressivster und größter, produktivster und furchtlosester Regisseur des deutschen Films
    Lässt sich das alles mit dem Genre verbinden? Besitzt anspruchsvolle Science Fiction nicht eine klare, fest umrissene Struktur, bleibt sie nicht ohnehin biegsam in sämtlichen Ecken, Richtungen und Stilen, ohne ihr philosophisches Grundkonzept einer grundsätzlich infrage gestellten Realität aufzugeben? Wenn ja, würde wohl etwas in der Art von Alphaville herauskommen: der Gesellschaftskritiker als Quereinsteiger, Tabubrecher, Erneuerer, nicht zum ersten Mal.

    Die Parallelen sind weniger überraschend als frappierend. Wie Godard verwendet Fassbinder nahezu ausschließlich vorgefundene, in die Zukunft weisende Architektur in einem futuristisch angehauchten Paris; wiederum spielt ein alles bestimmender Supercomputer aus der Großindustrie eine zentrale, verhängnisvolle Unterdrückerrolle; erneut muss ein

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