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Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Titel: Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha u. a. Mamczak
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im Krankenbett durchlebt. Hier setzte Moebius um, was er sich immer als Thema für die Serie erträumt hatte, aber gegen Charlier nicht durchsetzen konnte: ein Abenteuer seines Helden im Drogenrausch. Der Regisseur Jan Kounen sollte diese Idee in seiner Blueberry -Verfilmung von 2004 umsetzen, doch im Comic blieb ihr Schöpfer den Idealen seines toten Szenaristen insoweit treu, als er die Visionen des Helden lediglich als Folgen seiner Verwundung charakterisierte. Zeichnerisch aber befreite Jean Giraud sich von allen Fesseln, schachtelte Panels ineinander wie seit La déviation nicht mehr, brach die klaustrophobischen Naheinstellungen seiner Protagonisten in den Kaschemmen und Stuben von Tombstone durch den Einschub weiter Landschaftstotalen der Wüstenszenerien auf, die auch aus den Science-Fiction-Geschichten seines Alter Ego stammen könnten, und machte aus dem Wilden Westen dem genau festgelegten Handlungszeitraum zum Trotz einen nahezu zeitlosen Abenteuerspielplatz, in dem er wie nie zuvor in der Serie burleske mit melancholischen Elementen
mischte. Was er als Moebius gelernt hatte, das lebte er jetzt auch als Jean Giraud aus.
    Es waren die Jahre, in denen der Zeichner viele unvollendete oder vorzeitig beendete Serien aus der Vergangenheit wieder aufnahm. Blueberry hatte den Anfang gemacht, nach fünf Jahren Bedenkzeit, die seit dem Erscheinen von Arizona Love verstrichen waren, dem Album, über dessen Produktion Charlier gestorben war. Außerdem wurde 1998 nach gleichfalls fünfjähriger Pause die von Jodorowsky geschriebene Reihe Le cœur couronné (auf Deutsch Lust und Glaube ) mit dem dritten Band abgeschlossen, ehe sich beide Autoren dann 2000 an ein Prequel zu John Difool machten, das allerdings über den ersten Band nicht hinauskam. Zu sehr hatte sich Moebius da schon in die Rolle des eigenen Szenaristen hineingearbeitet – das Resultat waren der schon erwähnte Abschluss der Sternenwanderer im Jahr 2001 und die Rückkehr der beiden großen Moebius-Helden der Siebzigerjahre, Major Gruber und Arzach, in den beiden Meisterwerken Chasseur deprimé von 2008 (schwarz-weiß, wie die Geschichten um den Major begannen) und Arzak l’arpenteur von 2010 (farbig, wie es eben mit Arzach losgegangen war). Sie sind das Vermächtnis von Moebius – zusammen mit den von 2005 bis 2010 in Frankreich erschienenen sechs Bänden von Inside Moebius , in denen er am Schluss seiner beispiellosen Karriere noch einmal seine wichtigsten Hauptfiguren Blueberry, Arzach und Major Gruber um sich versammelte, um deren Verhältnis zu ihrem Schöpfer zu klären. Und das des Schöpfers zu sich selbst, denn die Aufteilung des Autors dieser Selbstbefragung in Moebius und Jung-Moebius ist nur eine weitere Spaltung, doch diesmal eine, die chronologisch erfolgt und deshalb auch durch die Geschichte (die historische wie die erzählte) geheilt werden kann.

    Die endgültige Versöhnung jedoch erfolgte erst zuletzt. Im Jahr 2010 zog die Fondation Cartier mit der großen Retrospektive »Moebius transforme« die Summe seines Schaffens. Da stand Giraud neben Moebius, Arzach folgte Blueberry. Und noch einmal hatte sich der wandlungsfähige Zeichner neu erfunden und eigens für die Ausstellung einen dreidimensionalen Trickfilm auf der Grundlage von Sur l’étoile zeichnen lassen, jener Kurzgeschichte, die der Keim zum Sternenwanderer -Zyklus war. Das letzte Hauptwerk des Künstlers entstammte also dem Genre, in dem er begonnen hatte: Science Fiction, und dafür nutzte er die seinerzeit neuesten technischen Errungenschaften. Moebius und die Technik, das war eine unendliche Liebesbeziehung. Er war der erste berühmte Comiczeichner, der die Möglichkeiten des Computers für die Bildbearbeitung nutzte, und auch der Erste, der bei öffentlichen Auftritten das Zeichnen mit dem Datenstift auf dem Bildschirm vorzuführen wagte. Sein Können ließ es zu, er konnte keine falsche Linie ziehen. Und schon gar keinen Schlussstrich. Und so ist am Ende von Inside Moebius nur noch der alte Zeichner übrig, der aus seinen unermüdlichen magischen Fingern die skurrilsten Figuren buchstäblich aufs Papier wirft. In der Comicgeschichte gibt es keine schönere autobiografische Szene als dieses große Phantasma des großen Phantasten Moebius.
    Das Ende seines Lebens war prosaischer. Moebius erlag einer Krebserkrankung. Sie war lange bekannt, doch 2010 schien sie besiegt. Als ich ihn damals zum letzten Mal traf, vital wie lange nicht mehr, verjüngt und lachend, begegnete

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