Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
Internet-Experten wie etwa David Gelernter fordern, dass man Kinder frühestens ab zehn mit digitalen Medien in Berührung bringen sollte.
A: Ja, das ist so die Waldorf-Sichtweise. Wissen Sie, ich habe mit sechs angefangen, mit Computern herumzuspielen, und die einzig wirklich negative Folge, von der ich weiß, ist, dass ich nie gelernt habe, mit der Hand schön zu schreiben. Das ist schade, aber auch keine Katastrophe. Andererseits glaube ich nicht, dass Kinder für immer fürs Leben geschädigt sind, wenn sie in jungen Jahren keinen Zugang zu Computern haben – man sieht ja an Leuten wie Dennis Ritchie, dem Unix-Erfinder, die in ihrer Kindheit keine Computer
hatten, weil es überhaupt keine Computer gab, dass man das später immer noch nachholen kann. Aber für mich und meine Frau, die Computer tagtäglich intensiv nutzen, ist es einfach unmöglich, unsere Tochter von den Geräten fernzuhalten. Es würde auf einen ständigen Kampf hinauslaufen. Ich denke allerdings generell nicht, dass man Kindern irgendetwas ganz und gar vorenthalten muss, um sie zu besseren Menschen zu machen, ob es nun ums Fernsehen, das Essen von Fleisch oder das Internet geht. Ich denke, es ist viel wichtiger, dass man ihnen die nötige Aufmerksamkeit zukommen und sie so viele Erfahrungen wie möglich machen lässt.
F: Es ist ja nicht nur die Frage, wie viel Technik man den Kindern erlaubt, sondern es geht auch um die gigantische Menge an Information, die das Internet bietet. Einige befürchten, dass ein junger Mensch da verloren gehen kann.
A: Ach, das sind doch Gespensterdebatten. Was heißt das: verloren gehen? Man kann im Internet nicht so verloren gehen, wie man in einer Stadt oder im Wald verloren gehen kann. Natürlich hat sich etwas verändert. Früher glichen die audio-visuellen Medien einem Fluss – wenn Sie etwas nicht zu einer bestimmten Zeit gesehen haben, ist es an Ihnen vorbeigerauscht und verschwunden. Heute funktionieren audio-visuelle Medien wie eine Bibliothek – man kann sie sich wie Bücher zu jeder Zeit und an jedem Ort ansehen. Und wenn Sie etwas Interessantes entdecken, etwa einen Clip auf YouTube, dann können Sie das über E-Mail oder Twitter oder Facebook anderen Leuten mitteilen – es ist kein exklusives Wissen mehr so wie früher. Ich glaube, dass die gemeinsame Basis gerade für junge Menschen also deutlich größer ist als vor zwanzig, dreißig Jahren, als ich jung war. Wissen Sie, die Leute reagieren immer ängstlich auf mediale Veränderungsprozesse, als würde ihnen etwas weggenommen,
aber darum geht es gar nicht: Neue Medien sind da erfolgreich, wo alte Medien ihre Defizite haben. Alles, was etwa an Filmen wunderbar ist, ist nicht wunderbar an Theaterstücken. Filme machen nicht dasselbe wie Theaterstücke, nur eben besser – nein, sie machen etwas anderes. Und so funktioniert es auch mit dem Internet: Alles, was an audio-visuellen Medien im Netz großartig ist, ist nicht großartig am Fernsehen. Und umgekehrt. Neue Medien stehen zu alten in einem orthogonalen Verhältnis. Klar, es ist etwas völlig Neues, Zugang zu diesem gigantischen Katalog an audio-visuellem Material zu haben – und daran auch noch mitzuwirken –, aber letztlich ist es genau das, was ich beschrieben habe: Heute kann man alles, was einen interessiert, mit anderen Menschen teilen – nichts anderes mache ich auf BoingBoing tagein, tagaus –, und man kann mit den Leuten in einen Kommunikationsprozess eintreten. Natürlich ist das meiste, was selbst produziert und ins Netz gestellt wird, trivial, aber alles Substantielle hat einmal trivial begonnen. Das ist wie beim Schreiben: Schriftsteller werden besser, indem sie ihre Texte anderen Schriftstellern zeigen – und wenn Sie mit Videomaterial arbeiten wollen, dann ist der beste Weg, besser darin zu werden, Ihre Clips auf YouTube zu stellen und sie von anderen bewerten zu lassen. Von einem Medium zu erwarten, dass alles, was darin stattfindet, hochprofessionell ist, ist eine ziemlich rückwärtsgewandte Vorstellung.
F: Dieser ganze Prozess des Sharings, Forwardings, Linkings und so weiter spielt also auch in Ihrer Arbeit als Autor eine große Rolle?
A: Absolut. Anstatt das, was mich interessiert, in ein Notizbuch zu schreiben und später zu rätseln, was ich damit wohl gemeint habe, schreibe ich es in meinen Blog und bringe es damit gleich in eine Form, die zumindest theoretisch
jeder versteht. Es zwingt mich also zu einer gewissen Disziplin, und ich habe etwas, worauf
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