Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
eingebaut werden. Das erinnert mich auch durchaus an das Vorgehen der Evolution. Der entscheidende Unterschied: Die Evolution arbeitet ohne ein zentral steuerndes Bewusstsein. Im »trial and error« -Verfahren, mit Anpassung und mit – für menschliche Maßstäbe – ungeheuerlichen Verlusten. In der Natur gibt es unseren Maßstab von Verlusten nicht, sondern es ist einfach so. Es findet in der Evolution auch keine Optimierung statt, sondern im Grunde bleibt nur stets etwas übrig. Wir stellen uns die Selektion immer nach menschlichen Maßstäben vor …
F: … als ordnende Hand, die auswählt und züchtet.
A: Ja, aber da selektiert in Wahrheit nichts. Sondern da bleibt einfach nur etwas übrig, weil »die Verhältnisse so sind«, wie Bert Brecht einmal sagte. Und das über Jahrmillionen. Wir können nur feststellen: Das, was dabei herauskam, sind wir. Nur: Wir sind mit unserem Bewusstsein, mit unseren Empfindungen, in einer Entwicklung. Wir sind mit der Technik schon dabei, das zu ändern. Schließlich haben wir auch nicht die Zeit, die der Evolution zur Verfügung steht. Wir
möchten nach Möglichkeit wenigstens die Ansätze der »besseren Welt« schon in dieser Generation sehen. Deshalb ist es auch sinnvoll, gestalterisch einzugreifen und die Bedingungen so zu setzen, dass die gewünschten Veränderungen eintreten. Damit entfernen wir uns natürlich von der klassischen Evolution.
F: Nun arbeitet die Evolution nicht nur mit einem Mechanismus, sondern mit mehreren. Etwa mit spontaner Mutation, mit Zufall. Entsprechend könnte es in der aktuellen Entwicklung diverser Forschungsgebiete – etwa der Nanotechnologie, der Informatik, der Biotechnologie und natürlich der K.I. – zu einem Effekt der gegenseitigen Verstärkung kommen, der uns in den kommenden zwanzig, dreißig Jahren zu einem Punkt bringt, der so neu ist, dass wir uns alles, was danach kommt, nicht vorstellen können. Ich spreche von der in der Science Fiction seit Längerem thematisierten Idee der »Technologischen Singularität«, welche Ihnen ja bekannt ist. Nun gibt es verschiedene Ansichten, was davon zu halten ist, und ob oder wann sie eintreten wird. Ray Kurzweil prophezeite sie etwa für das Jahr 2045, allerdings auch nur aufgrund von Extrapolationen der Computerspeicherkapazitäten. Wie stehen Sie zu dieser Idee, ist sie ein denkbares Konzept, oder ergaben sich aus Ihrer Arbeit gegenteilige Argumente?
A: Also, wenn man die Singularität so versteht, dass es sich dabei um Sprünge in unserer Entwicklung handelt, dann gehört sie einfach zu unserer historischen Erfahrung. Es traten immer wieder historische Ereignisse auf, die unsere Entwicklung völlig umwarfen. Das beste Beispiel ist das Internet. Kein Mensch hat diese Entwicklung vorausgesehen. Weder Experten Anfang der Fünfzigerjahre wie John von Neumann noch Unternehmen wie Microsoft. Das Internet wurde ja auch nicht »erfunden« – im Gegensatz zu Computern, wo es definierte Erfinder gab. Das Internet war im
Grunde ein Abfallprodukt der Kriegstechnologie. Heute ist kein großer Einstein mehr unterwegs, sondern die Technologie verstärkt sich selbst in einer Weise, die Neues hervorbringt. Nun könnte man da von der Singularität reden. Niemand konnte sich die vom Internet veränderte Welt vorstellen. Somit kann es dasselbe auch in der Zukunft geben: Warum sollen wir schon alle Grundlagen gelegt haben für das, was kommen mag? Das wäre eine Arroganz gegenüber nachfolgenden Generationen. Und die Singularität zu prognostizieren widerspricht ja auch ihrer Definition, dass sie eben zu etwas völlig Unbekanntem führt. Diese Idee ist auch eigentlich gar nicht so neu. Wer ähnlich dachte, war ein großer Wirtschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts, ein Österreicher übrigens …
F: Entweder Friedrich von Hayek oder …
A: … der große Schumpeter, den ich sehr verehre. Er dachte nämlich historisch im Unterschied zu manchen neoklassischen Ökonomen. Er hatte die Idee, die Technologie als unternehmerisches Moment zu sehen, das große und langwierige gesellschaftliche Veränderungen auslöst. Er erkannte, dass diese Innovationen nicht gleichmäßig und zufällig auf der Zeitachse verteilt sind, sondern dass es Clusterbildungen gibt – und zwar gerade in Krisensituationen. Da kommt es zu Innovationen, die Schübe auslösen, etwa die Motorisierungswelle nach Erfindung der Verbrennungsmotoren oder die Industrialisierung nach Erfindung der automatisierten Webstühle und der
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