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Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Titel: Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha u. a. Mamczak
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Rezensent auch erst zum Schluss preisgeben wird.
    Den Anlass für das Symposium bot das zweihundertjährige Jubiläum des Erscheinens der »Summa technologiae«, eines der philosophischen Hauptwerke des europäischen Autors. Über lange Zeit verkannt, gilt es nunmehr als Zeugnis der spekulativ-theoretischen Geisteskraft eines Individuums, das weit über sein Leben hinaus Leser und User angeregt hat. Die lemologische Gesellschaft hatte das Buch in ihrem Ankündigungstext als Meilenstein in der gedanklichen Auseinandersetzung um die Technoevolution bezeichnet. Sein Befund sei gewissermaßen die erste systematische Willenserklärung der technologischen Zivilisation gewesen, die Schritte einer umfassenden Manipulation und Gestaltung aller materiellen und informationellen Beziehungen zu reflektieren und sie in der Folge auch zu gehen …
    Schulenburg fiel die Aufgabe zu, in die Veranstaltung einzuführen und die Lebensumstände Lems zu erläutern. Die damalige kognitive, soziale und physische Situation der
Menschheit sei nach unseren Kategorien fremd, ja geradezu skurril gewesen. Es herrschten Konzepte der Daseinsbewältigung vor, deren damalige Begrifflichkeit kaum auch nur annäherungsweise in unsere heutigen Kommunikationsparameter übersetzbar ist. Am Beginn des 21. Jahrhunderts existierten ca. sieben Milliarden Bewusstseinseinheiten auf dem Planeten. Diese waren in komplexen Systemen vernetzt, sogenannten Nationen, deren Grenzen teilweise sehr willkürlich gezogen waren und die um diverse Existenzparameter stritten. Kurz gesagt, die Menschheit versank in einem Chaos von Beziehungsirrationalität, während sich nur wenige Bewusstseinseinheiten zu sachrationalen Netzen zusammenschlossen. Merkwürdig an dieser Entwicklung ist nun, dass gewissermaßen im Schoße dieser Beziehungsirrationalität die technologischen Grundlagen unserer heutigen cognoidalen Existenz gelegt wurden, seltsamerweise indem man den gerade beschriebenen Irrsinn perfektionieren wollte. Dabei wurde die Entwicklung aus den Beschränkungen des organischen Bewusstseins heraus hin zu einem technologischen Netzbewusstsein angebahnt. Das bedeutsame Wirkelement war ein damals sogenannter Computer, ein primitives archaisches System von Silizium-Kernen. Immerhin, die Menschheit hatte den Weg zu einer selbstbestimmten Evolution des Bewusstseins beschritten und begonnen, die Zumutungen der natürlichen Evolution zu überwinden – ohne dass diese Tatsache aber schon ins Alltagsbewusstsein anno dazumal eingedrungen wäre.
    Dass Lem in der »Summa technologiae« auch eine grundlegende Sozialutopie geschrieben habe, war eine Feststellung, die Schulenburg sehr wichtig war. Er wies auf eine Passage im Kapitel »Zwei Evolutionen« hin: »Die grundlegenden Fragen jeder Zivilisation – Ernährung, Bekleidung und Transport, dazu noch Geburtenregelung, Güterverteilung und
Schutz von Gesundheit und Besitz – müssen gelöst sein. Sie müssen so unsichtbar werden wie die Luft.« Wenn diese Bedingungen erfüllt seien, stelle sich die Frage nach dem Sinn einer Zivilisation mit neuem Nachdruck. An anderer Stelle heißt es ergänzend: »Die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen ist eine Pflichtaufgabe, eine Vorübung für die Reifeprüfung, deren Anfang und nicht deren Ende.« Nach Lem könne die Gesellschaft eine plötzliche Systemveränderung vornehmen, einzelne Tätigkeitsbereiche sprungartig verbessern, wenn sie »kybernetische Administratoren« einsetze – siehe seine Ausführungen zu »Kybernetik und Soziologie«. Für diese Erinnerung an eine gedankliche Vorwegnahme der Entwicklung, wie sie von essenzieller Bedeutung für die heutige Gesellschaft ist, spendete das Avatar-Publikum dem Professor langen Applaus. Noch ist diese irdische All-Freiheit nicht erreicht, doch die Organisation der materiellen Existenzbedingungen ist erst einmal allgemein als bloßer Ausgangspunkt für höhere kulturelle Entwicklungsprozesse zu begreifen, nicht schon als ihre Endstufe.
    Timothy Meadows kam in seinem historischen Rückblick auf die Geschichte der Lemologie zu sprechen. Die Spaltung in zwei Lager der Lem-Rezeption sei früh abzusehen gewesen. Meadows führte ein Zitat des amerikanischen Lem-Übersetzers Michael Kandel vom Anfang der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts an: »Lem hat in seinen theoretischen Schriften … verschiedene kybernetische Beweisgründe angeführt, um zu beweisen, dass das Phänomen der Persönlichkeit in jedem einzelnen Fall einzigartig,

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