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Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Titel: Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha u. a. Mamczak
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irreduzibel und unersetzlich ist – und daher unendlich wertvoll. Nicht aus religiösen, sondern aus rein wissenschaftlichen Gründen wird an der Seele festgehalten … Die Kybernetik wird somit zu einem Unterpfand des Triumphs der Willensfreiheit über natürliche und künstliche Kräfte, die an einer Reglementation
oder Versklavung arbeiten.« Kaum hatte Meadows das Zitat beendet, meldete sich schon Czerski zu Wort, der heftigst protestierte. Diese humanistische Umschreibung sei nicht gedeckt durch Lems Theorien. Es gehöre zu den großen Missverständnissen der Lemologie, dass die eine Seite glaube, auf die Lektüre etwa der »Summa« oder des »GOLEMS« verzichten zu können. Meadows antwortete entnervt, dass ihm beide Werke bekannt seien, die »Summa« aber eher ein Zeugnis sei für die Fähigkeit des menschlichen Geistes zur Systematik denn ein abzuarbeitender Katalog an Evolutionsmaßnahmen; außerdem würde der GOLEM nur »wie ein leicht spinnerter Professor über Gott und die Welt dozieren«. Czerski unterdrückte seine Antwort und ließ Meadows weiterreden. Dieser wies darauf hin, dass Lem selbst gewarnt habe vor der »völligen Entfremdung einer Technologie, die mit ihrer kybernetischen Macht eine synthetische Zivilisation schafft und dabei die Menschheit aus allen Tätigkeitsbereichen verdrängt«. Die zukünftige Gefahr einer technologisch bedingten Stagnation einer ganzen Zivilisation sei ein wiederkehrendes Motiv bei Lem und könne nicht ignoriert werden.
    Die beiden Fraktionen der Lemologie werden jedoch durch ihre Sichtweise der Defizite der Evolution geeint, die die humanistisch geprägten Lemologen nur in einem menschlich verträglichen Maß verbessert sehen wollen. Meadows fasste die Kritik an der biologischen Entwicklung aus Lem’scher Sicht zusammen, wie sie besonders in dem Kapitel »Pasquill auf die Evolution« formuliert wurde. Die Natur sei ein Konstrukteur, der sich nur um das Überleben der Mehrheit einer Art kümmere, nicht aber um das einzelne Individuum. Der menschliche Organismus altere ungleichmäßig. Einzelne Komplikationen bei organischen Reglern wie dem Herz könnten lebensbedrohlich werden, ohne dass es Ausweichorgane
gebe. Die Evolution habe ständig Kompromisslösungen produziert, die aber nicht korrigiert werden könnten, sondern die Tendenz zu weiteren Kompromissen nur verstärken würden. Zugleich würden frühere Errungenschaften vergessen, wenn eine Art aussterbe, und neu entstandene Vorteile könnten nicht zwischen den Spezies übertragen werden. Als anschauliches Beispiel nannte Meadows die Zahnlosigkeit alter Menschen, während beim Hai Zähne nachwachsen würden. Hier sei ein umsichtiger Eingriff zur Verbesserung der Lebensqualität geboten.
    Dann hatte Czerski seinen Auftritt. Die milliardenjährige Geschichte der Evolution sei eine Geschichte blindwütiger Versuche ohne Sinn und Verstand. Lems »Summa technologiae« zeichne doch gerade aus, die theoretischen Grundlagen für die Pantokreatik gelegt zu haben, die unter anderem die umfassende Aufgabe der biologischen Umgestaltung beinhaltet. Er zitiere aus dem Buch: »Vollkommener als das biologische System ist ein solches, das um einen Freiheitsgrad reicher ist – im Hinblick auf das Baumaterial. Ein System, das weder in seiner Form noch in seiner Funktion durch das Material determiniert ist. Das nach Bedarf einen Rezeptor oder Effektor, ein neues Sinnesorgan oder eine neue Gliedmaße oder eine neue Fortbewegungsweise erzeugt.« Über die weitere Stabilisierung einzelner Körper – die Perspektive, in der Meadows verharren würde – sei es nur ein kurzer Schritt zur planmäßigen Steuerung der ganzen Gattung, zu deren Ausstattung mit neuen Funktionen und Elementen. Jetzt war es an Meadows, seinen Kontrahenten zu unterbrechen. Es sei Lem selbst gewesen, der im Unterkapitel »Rekonstruktion der Gattung« davor gewarnt hätte, dass eine biotechnologische Umwälzung »nicht nur die Auslöschung der Gattung Homo sapiens, sondern zugleich die Vernichtung seines geistigen Erbes« bedeute.
Energisch wischte Czerski den Einwand von Meadows beiseite. Auch ein Lem sei nicht unfehlbar gewesen, sein Werk enthalte – wie jedes Zeugnis der Prä-KI-Ära – Widersprüche und Ungenauigkeiten. Das Avatar-Publikum war von dieser Argumentation nicht überzeugt, viele wollten sich von MODERATOR 1.0 automatisch auf die Rednerliste setzen lassen.
    Schulenburg meldete sich zu Wort, um die Diskussion in eine neue Richtung zu

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