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Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Titel: Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha u. a. Mamczak
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behauptet, er habe eine »humanistisch ausgerichtete Umgestaltung« seiner wissenschaftlichen und technischen Neigungen »zu etwas Metaphorischem und Märchenhaftem« betrieben. In dieser Weise äußerte sich beispielsweise im Jahr 1982, also noch zu Lebzeiten Lems, der amerikanische Science-Fiction-Autor und Literaturwissenschaftler James Gunn. Die »harte« Lektüre wiederum orientiert sich an seinem theoretischen Werk und an einigen seiner nicht-satirischen SF-Bücher und nimmt an, dass es sich um ernstzunehmende Spekulationen über mögliche Entwicklungstendenzen der menschlichen Kultur handelt. Verkürzt gesagt trifft also in der Rezeption die »Kyberiade« auf die unversöhnliche Gegnerschaft von »Also sprach GOLEM« (weshalb diese Fraktion auch scherzhaft die »Golemologen« genannt wird). Der Rezensent kann nicht verhehlen, dass er mit letzterer Position sympathisiert, obwohl sie zahlenmäßig der ersteren weit unterlegen ist. Lem konnte dem Einfluss seiner Robotermärchen und den Weltraum-Kapriolen seiner Piloten Tichy und Pirx nie entkommen, die ihm zu seiner Zeit aufgrund ihres großen Erfolgs beim Publikum ein einträgliches Auskommen beschert haben mögen, die Rezeption seines Werks aber zugleich in ein (unnötiges) Schisma geführt haben.
    Die Teilnehmenden waren der europäische Lemologe Andreij Czerski, der zur harten Fraktion zu zählen ist, sowie der amerikanische Lem-Interpret Timothy Meadows, der die Gegenseite vertritt. Dem Technikhistoriker Dietmar Schulenburg kam die Aufgabe zu, allgemein in die Lebensumstände Lems einzuführen. Er war der Älteste in der Runde und trug als Letzter, nachdem das akademische Bildungssystem sukzessive von einem System vernetzter Lernsphären
mit meta-disziplinärer Ausrichtung abgelöst worden ist, einen klassischen monothematischen Professorentitel. Auf eigene Initiative hatte sich eine höhere Künstliche Intelligenz namens Anthor angemeldet, die das Kriterium der Inter-Intelligenz erfüllte und die lemologische Gesellschaft sehr freute, waren die KIs doch – was die Auseinandersetzung mit menschlicher Philosophie betraf – bisher recht »wortkarg« gewesen. Die Zusage, einen eigenen Vortrag zu halten, wollte Anthor jedoch nicht geben.
    Die Lem-Sphäre war per SpatialSimulationStream in einer MMOA (Massively Multilistener Online Area) eingerichtet worden, einer virtuellen Massen-Vollkörper-Darstellung für Bildungszwecke. In einer riesigen simulierten »Arena« ohne große Ausschmückung, die eher an eine römische Vergnügungsstätte erinnerte denn an einen Bildungsort, hatten sich circa hunderttausend Avatare eingefunden, um der Diskussion beizuwohnen, während ihre User über das ganze Sonnensystem verteilt ihre verschiedenen Simulatoren benutzten. Czerski trat neutral in der Gestalt eines großen Mannes mittleren Alters in schwarzer Kleidung auf – mit existenzialistischer Anmutung. Meadows hatte zur Selbstdarstellung die abstrakte geometrische Form des Tetraeders gewählt; diese änderte sich jedoch laufend, was die Konzentration auf seine Redebeiträge minderte. Schulenburg virtualisierte sich – seinem Titel entsprechend – als Wissenschaftler der klassischen Aufklärung im 18. Jahrhundert mit Perücke und Gehrock und zeigte dazu als Einziger sein reales Gesicht. Anthor hatte eine goldfarbene Buddha-Figur gewählt; und wie sich zeigen sollte, wurde sie ihrer Repräsentation gerecht: Sie schwieg weitgehend.
    Für die Moderation war in der Lem-Sphäre eine neue Rhetorik-Software eingeführt worden – MODERATOR 1.0 –, an der sowohl humanoide Programmierer als auch spezielle
Programmier-Intelligenzen mitgewirkt hatten. Die Software, die in die Lem-Sphäre implementiert wurde, ist in der Lage, eine Diskussion funktional zusammenzufassen, auf Nachfrage an die vielen angeschlossenen Hörer auszugeben und aus den Tausenden gleichzeitigen Meldungen des Info-Streams inhaltlich passende Themen zu filtern, um die aus historischen öffentlichen Diskussionen wohlbekannte Redundanz zu vermeiden. Ihre Darstellung beschränkte sich auf eine tiefe männliche Stimme. Um es vorweg zu sagen, die Leistung dieses Programms hat die Attraktivität der Lem-Sphäre noch erhöht. Die generalisierte Wissenssphäre, die sich unter anderem mit Fragen der technologischen Evolution beschäftigt, erfreut sich ja schon seit einigen Jahren zunehmender Beliebtheit. Zudem war als Höhepunkt der Veranstaltung noch ein besonderes Experiment angekündigt worden, das der

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