Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
ist es einem dann tatsächlich zu viel, sodass zumindest ich ein paar Seiten voller regionaler Schilderungen übersprungen habe, die zwar als Reiseliteratur interessant sein mögen, jedoch mit der Handlung nicht das Geringste zu tun haben. Überhaupt ist es die Schwäche dieses vielgepriesenen Debütromans, dass sich – ich muss es leider sagen – ganze Abschnitte durch gähnende Langeweile auszeichnen: Das Setting bleibt gleich, die geschilderten Arbeiten bleiben gleich, selbst die Protagonisten verändern sich kaum. Jedes zweite Kapitel besteht fast zur Gänze aus Dialogen (mal in einem Büro, dann in einer Bar, dann während einer Rikschafahrt …) und die Dialoge drehen sich meist um das Gleiche: Anderson Lake forscht über Hunderte Buchseiten hinweg nach den Herstellern einer speziellen virusresistenten Frucht ( Ngaw genannt), die er zu Beginn entdeckt; das Aufziehmädchen Emiko setzt sich die ganze Zeit mit ihrem leidvollen Dasein als Sexsklavin auseinander und redet unentwegt davon, demselben entfliehen zu wollen; andere Handlungsträger unterhalten sich in durchaus gut geschriebenen, aber durch ihre Länge dennoch ermüdenden Dialogen über Besonderheiten, Vor-und Nachteile gentechnisch veränderter Früchte oder über irgendwelche Aussagen der »grahamitischen Religion«, die ein generelles Verbot gentechnisch veränderter Lebensmittel propagiert. Jede und jeder denkt stets über ein und dasselbe nach, es fehlt an persönlichen Entwicklungen und mitreißenden Szenen – irgendwann scheint die exotische Atmosphäre dann eigentlich nur noch Selbstzweck zu sein, um von einer recht ereignislosen Handlung abzulenken. Selbst das actionreiche Ende kann nicht über einen
eher langweiligen Gesamteindruck hinwegtäuschen, besonders da am Schluss zahlreiche Fragen offen bleiben.
Als Warnung vor biotechnischer Sorglosigkeit, als exotische Landesschilderung, als ungewöhnliche Dystopie für Leser, die Freude an Details haben, funktioniert »Biokrieg« sehr gut. Ja, die atmosphärischen und zwischenmenschlichen Aspekte überwiegen sogar so stark, dass das Buch auch von Mainstream- und Reiseliteratur-Lesern geschätzt werden könnte – als spannende Story mit erkenntnisreichen Einfällen würde ich es jedoch nicht bezeichnen.
Uwe Neuhold
GREG BEAR
DAS SCHIFF (HULL ZERO THREE)
Roman · Aus dem Amerikanischen von Usch Kiausch · Wilhelm Heyne Verlag, München 2011 · 478 Seiten · € 8,99
Der Albtraum eines jeden interstellaren Reisenden: Du wachst aus dem Hyperschlaf auf und alles um dich herum hat sich verändert! Das gigantische Raumschiff wirkt fremd, die Mannschaft ist verschwunden, die Technik ist ausgefallen … und überall lauern unbekannte Gefahren. Willkommen im wohl existentialistischsten Roman des SF-Großmeisters Greg Bear!
Der Autor überrascht uns, indem er statt langer Vorreden und Einführungen gleich zur Sache kommt: Wir Leser wissen genauso wenig wie der noch namenlose Protagonist, was da geschehen ist. Weder ist der Zweck der Reise klar, noch der Umfang des Schiffs – und auch ansonsten tappen sowohl er als auch wir buchstäblich im Dunkeln, auf dem Weg zu irgendeinem Überlebenden und einer Antwort. Durch die Ich-Form der Erzählung wird die Identifikation mit dem Protagonisten noch verstärkt, ein Trick, der schon seit Edgar Allan Poe für erhöhte Spannung sorgt. Ja, der Text wirkt anfangs derart hermetisch, dass ich schon den Verdacht hegte, Bear nähme uns diesmal auf den Arm und wir befänden uns (ähnlich wie bei Iain Banks’ »Die Brücke« oder Michael Marraks »Lord Gamma«) in einer völlig anderen Welt- und Wahrnehmungsebene, einer metaphysischen Reise zu sich selbst oder überhaupt
im künstlich am Leben gehaltenen Hirn irgendeines Unglücklichen, dem eine virtuelle Realität vorgegaukelt wird.
Doch spätestens als der Held in einem der einsamen, langen Gänge des Raumschiffs tatsächlich auf den ersten Menschen trifft – ein Mädchen, das ihn den »Lehrer« nennt –, wird klar, dass wir uns zwar in einer völlig undatierten Zukunft befinden, doch wenigstens in dem uns bekannten Universum. Weitere Überlebende tauchen auf – und mit ihnen weitere Verfremdungselemente; es handelt sich um gentechnisch veränderte Kreaturen, bei denen anfangs die Frage ist, ob sie freundlich oder feindlich gesinnt sind (wobei im letzteren Fall schon mal ein Kopf abgebissen wird). Und es kommt noch seltsamer: Das Mädchen behauptet, der Lehrer würde ihm nicht zum ersten Mal
Weitere Kostenlose Bücher