Heyne Galaxy 04
Trichter und rief: »He, Paul! Wie gefällt es dir?«
Der Junge stand auf einem Felsen und sah ins Tal hinab.
»Ich kann klettern!« Seine Stimme war leise und weit entfernt, aber deutlich zu verstehen. »Ich bin nie so hoch gewesen. Ich klettere bis hinauf zum Gipfel!«
Er winkte und verschwand zwischen dem Gestrüpp.
»Manchmal wird den Unsterblichen ein Kind geboren«, sagte der Bärtige. »Wenn wir es rechtzeitig finden, retten wir es.«
»Warum hat Paul sich denn so gewehrt, als er gefangengenommen wurde?«
»Weil man ihm von Kind an eintrichterte, daß er sterben müsse, wenn die Atavars ihn erwischen. Das stimmt natürlich – eines Tages wird er sterben müssen. Wie jeder Sterbliche. Aber in der Zwischenzeit…« Er brach ab und wandte sich wieder Peccary zu. »Sehen Sie, als Sie Ihr Hormon entwickelten, haben Sie eine Tatsache übersehen. Das Y-Hormon stoppt den Prozeß des Alterns und verhindert Erkrankungen, aber es schützt nicht gegen Unfälle. Auch ein Unsterblicher stirbt, wenn er von einem Auto überfahren wird oder mitten im Meer von Bord eines Schiffes fällt. Ein Sterblicher akzeptiert die Möglichkeit eines unerwarteten Endes mit einer gewissen Fassung; er kalkuliert sie eben ein. Er weiß, daß er ohnehin eines Tages sterben muß. Aber können Sie sich den psychologischen Schock vorstellen, den der Tod eines Unsterblichen bei den anderen hervorruft? Ein Mann, dessen Zukunft sich bis ans Ende aller Zeiten erstreckt, stirbt plötzlich! Die Angst vor dem Tod hat sich vertausendfacht. Jede Art der Gefahr wird beseitigt. Autos, Züge, Flugzeuge und Schiffe. Verkehrsmittel wurden ohnehin nicht mehr benötigt, denn niemand wagte noch zu reisen. Jede Reise ist mit der Möglichkeit eines Unfalls verbunden. Eine Vorsicht gebiert die andere – und bald tat niemand mehr etwas, das auch nur die Möglichkeit einer Gefahr in sich barg. Die Unsterblichkeit stand auf dem Spiel. Keiner ging mehr ein Risiko ein, und nennen Sie mir auch nur einen einzigen Beruf, bei dem nicht zumindest die Andeutung einer gewissen Gefahr bestünde … Gibt es nämlich nicht. Und auch das Kinderkriegen bedeutet Lebensgefahr.«
»Ich habe die Geburtenkontrolle befürwortet…«
»Natürlich gab es Geburtenkontrolle, aber das konnte auch nicht verhindern, daß es zehn Jahre nach Einführung Ihres Hormons bereits fünf Milliarden Menschen zuviel auf der Erde gab. Da die Produktion zurückgegangen war, starben fast drei Viertel der Menschheit an Hunger – denn gegen den Hungertod half Ihr Hormon nicht. Das war ein Schock, von dem sich die Überlebenden niemals ganz erholten. Schließlich gab es fast überhaupt keine Geburten mehr. Die übriggebliebenen Unsterblichen hatten es nicht schwer. Sie lebten von den Resten der untergegangenen Zivilisation, plünderten die gelagerten Vorräte in den Silos der Städte, raubten leere Wohnungen aus und wohnen noch in ihnen. Heute bauen sie an gefahrlosen Orten auch Getreide an und sorgen so für ihre Ernährung. Ja, und sonst…? Langeweile!«
Peccary sah an ihm vorbei und gab keine Antwort.
Der Mann mit dem Vollbart deutete mit dem Zeigefinger auf ihn.
»Und Sie haben es gewagt zu behaupten, die Zeit würde uns die Vollkommenheit bringen. Ich werde Ihnen etwas sagen, Dr. Peccary: Die einzige Quelle für den Mut und die Energie des Menschen ist seine Furcht vor dem Tod. Er wurde als Sterblicher geboren, und nur deshalb strebt er nach vorn und nach oben, weil er weiß, daß er nicht viel Zeit hat. Wir ersteigen die höchsten Gipfel und tauchen in die tiefsten Tiefen des Ozeans, wir lieben und hassen, wir strecken die Hände nach den Sternen aus – nur weil die Gewißheit uns drängt, daß am Ende der Tod auf uns wartet. Er ist die einzige Sicherheit überhaupt, die wir Menschen besaßen, und Sie haben sie uns genommen.«
Peccary wich zurück, als er die Wut in den Augen des Bärtigen funkeln sah. Zu seiner Erleichterung wurde dessen Aufmerksamkeit jedoch von einer Gruppe Reiter in Anspruch genommen, die in Marschordnung Aufstellung vor ihrem Anführer nahm und seine Befehle abwartete. Einige Tragtiere waren mit Dynamitkisten beladen.
»Wir sind bereit, Sir«, sagte einer der Reiter respektvoll.
»Gut. Dann sehe ich keinen Grund, länger zu warten.«
Ein Pferd wurde herbeigeführt. Schon wollte man Peccary zwingen, in den leeren Sattel zu klettern, als erneut eine Unterbrechung eintrat.
Das Tal hinauf, auf der Straße, die in Richtung der Stadt führte, kam Staghorn herangeradelt.
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