Heyne Galaxy 04
wolle er alle Kunststücke vorführen, deren ein Spatz fähig war.
Er verstärkte die Schultermuskeln und verbesserte die Flügel. Erneut flog er auf den Busch zu, senkrecht fast, um erst im letzten Augenblick die Flügel auszubreiten und in einen Gleitflug überzugehen. Seine Füße streiften noch die oberen Zweige und brachten ihn aus dem Gleichgewicht. Fast wäre er abgestürzt, aber er fing sich noch. So also nicht!
Der zweite Anflug, verwegener noch als der erste, klappte besser.
Dann suchte er sich einen hohen Baum als Ziel aus, stieg hoch in die klare, warme Luft hinauf und ließ sich in die Tiefe fallen. Knapp über dem Baumwipfel fing er sich ab, schlug einen Haken, flog einen Looping und landete schließlich auf einem dünnen Ast. Unwillkürlich zwitscherte er vor Lust und echter Lebensfreude.
Aus dem Ast kam ein feiner Zweig und berührte ihn.
»Sehr interessant«, sagte der Baum. »Ich habe es auch schon mit dem Fliegen versucht. Es ist wunderbar.«
Ilg!
»Verräter!« zischte Pid wütend und tat etwas, was nicht nur Spatzen gelegentlich tun. Ilg fluchte.
Pid kümmerte sich nicht um ihn, sondern flog davon, geradewegs auf das Tor zu. Diesmal würde es gelingen. In der Form eines kleinen Vogels würde er überall hingelangen.
Schnell stieg er bis auf eine Höhe von dreißig Metern. Von hier oben aus sahen Tor, Menschen und Gebäude sehr klein aus. Es fiel Pid auf, daß er besser sehen konnte als jemals zuvor. Jede Linie des Atomkraftwerkes hob sich deutlich gegen den grünen Untergrund ab. Über ihm war der wolkenlose, blaue Himmel. Je höher er stieg, desto besser und weiter war die Sicht.
Und Pid stieg höher.
Der Kompakter pulsierte stärker und erinnerte ihn an seine Aufgabe. Mit leichtem Bedauern breitete Pid die Flügel aus und segelte in dem warmen Wind dahin. Er unterdrückte das Verlangen, für immer diese wunderbare Form eines Vogels zu behalten. Später vielleicht, wenn er seine Aufgabe erfüllt und Zeit hatte, bis die Armeen von Grom eintrafen. Dann würde er in der lauen Luft fliegen und die Freiheit genießen, die ihm die Flügel verliehen und…
Er fühlte Scham. War es nicht Sünde, eine andere Form annehmen zu wollen als jene, die für ihn bestimmt war? Zur Erfüllung einer Aufgabe war es ihm erlaubt, aber keine Sekunde länger als unbedingt notwendig. Es war die Versuchung des Formlosen.
Vielleicht war es aber doch keine so große Sünde, wie es immer gelehrt wurde. Hatte Ilg nicht ganz richtig gesagt, daß ja alle Grom formlos geboren würden? Erst wenn sie älter und erwachsen wurden, lehrte man sie, die Gestalt ihrer Vorfahren anzunehmen.
Er segelte und kreiste dabei tiefer. Das Pulsieren des Kompakt-Verschiebers verstärkte sich erneut. Es störte und irritierte Pid plötzlich. Er stieg höher, damit das Pulsieren schwächer wurde. Die Luft strich an ihm vorbei, von seinem spitzen Schnabel geteilt, fing sich in seinen Federn und bildete winzige Wirbel.
Wie ein Schlag traf ihn plötzlich die Erkenntnis, daß er jetzt nichts anderes tat, als eine uralte Sehnsucht zu erfüllen, die ihm auch das Fliegen mit Schiffen niemals hatte verwirklichen können. Dies hier war etwas ganz anderes. Er versuchte sich die Kontrollen eines Schiffes vorzustellen, von denen er so oft ein Teil gewesen war. Der Gedanke daran erregte ihn auf einmal nicht mehr.
Keine Maschine war mit diesem lebendigen Fliegen zu vergleichen!
Was gäbe er dafür, selbst Flügel tragen zu dürfen!
Die Versuchung des Formlosen …
Der Kompakt-Verschieber! Er mußte zu dem Atomreaktor gebracht werden, koste es, was es wolle. Die Rasse der Grom wollte es so, und ihre Existenz hing davon ab.
Er sah auf das Gebäude hinab. Der Kompakter pulsierte und zeigte ihm den Weg. Die Fenster unten waren geöffnet. Er konnte gefahrlos in den Reaktorraum gelangen und das Gerät abstellen. Die Menschen würden es nicht einmal bemerken.
Pid legte die Flügel an, um sich fallen zu lassen.
In diesem Augenblick stieß der Habicht auf ihn herab.
Pid hatte ihn nicht bemerkt. Erst als die scharfen Klauen in seinen Rücken schlugen und der Schmerz durch seinen kleinen Körper raste, erkannte er die Gefahr. Automatisch löste sich sein Körper auf und floß aus den Fängen des Raubvogels. Hundert Meter tiefer wurde Pid wieder ein Spatz.
Er sah nach oben und begegnete dem Blick des Habichts. Die Krallen vorgestreckt, griff er erneut an. Pid mußte wie ein Vogel kämpfen, denn er war über hundert Meter hoch.
Er verwandelte sich in
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