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Heyne Galaxy 05

Heyne Galaxy 05

Titel: Heyne Galaxy 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter (Hrsg.) Ernsting
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es ehrlich. Der Mediziner hatte getan, was in seiner Macht stand. Er hatte ihn nicht angelogen. Er hatte ihn vor den Zweifeln bewahrt, die ihm die Ungewißheit beschert hätte.
    Draußen auf der Straße sah er zur Sonne empor. Die Mauern der Häuser waren dick und aus neuem Material. Sie würden Tausende von Jahren überdauern. Ihre Ewigkeit hatte nun nichts mehr mit ihm zu tun.
    Selbst sein Auto würde ihn überleben.
    Er kletterte hinter das Steuer und fuhr an. Automatisch fast bediente er die Kontrollen, und zum erstenmal spürte er keine Furcht mehr vor einem Unfall. Was spielte ein Unfall jetzt noch für eine Rolle? Ein Mann, der geglaubt hatte, eine Ewigkeit leben zu können, machte wegen lächerlicher dreißig Jahre keine Umstände mehr.
    Als er am Klubhaus vorbeikam, verlangsamte er die Geschwindigkeit, aber dann fuhr er doch weiter. Sie würden ihm Fragen stellen, die er nicht beantworten konnte. Das alles ging sie nichts an. Sie würden es noch früh genug erfahren. Sicher, Dubbins war freundlich zu ihm gewesen, aber er legte nun selbst auf Freundlichkeit keinen Wert mehr.
    Zum Büro also, wohin sonst?
    Er hatte immer noch seine Arbeit. Sie würde ihn ausfüllen – ihn und die verbleibende Zeit. In Zukunft würde die Menschheit den Sternantrieb mehr denn je benötigen. An ihm lag es, die Forschungen voranzutreiben. Den Anfang würde er noch miterleben, nicht aber das Ende.
    Sicher, der Gedanke war ein Trost, wenn auch nur ein schwacher. Aber wenn er hart arbeitete und nicht mehr soviel an sich selbst dachte, würde er vielleicht vergessen können, was er heute gehört hatte. Er würde nicht mehr daran denken, daß der Tod schon auf ihn wartete.
    Wie an jedem Morgen kam er durch die Korridore und gelangte bis zu Amandas Arbeitstisch. Sie sah ihn voller Besorgnis an. Wie durch ein Wunder fand er die richtigen Worte.
    »Ich war beim Arzt, Amanda. Sie brauchen sich also keine Mühe mehr zu geben, mich zu einem Besuch überreden zu wollen.«
    Er grinste ihr zu. Sie lächelte zurück.
    »Sie sind also gesund?« fragte sie.
    »So gesund wie immer«, erwiderte er und lachte. »Der Onkel Doktor meint nur, ich würde langsam alt.«
    Diesmal war ihr Lachen befreit und herzlich. Den Witz kannte sie schon. Er ging in sein Büro, wo der Kaffee schon auf ihn wartete. Seltsam, daß er ihm noch schmeckte.
    Der Projektor mit dem Brief von Harry stand noch auf dem Tisch. Er schaltete ihn ein. Er sah wieder das merkwürdige Fahrzeug, dicht über dem Boden des fremden Planeten, und dahinter die bizarre Landschaft der anderen Welt.
    Lange sah er auf das Foto, dann beugte er sich vor. Harry hatte sich überhaupt nicht verändert. Sein Gesicht war gleich geblieben. Fast hatte Giles es schon vergessen, aber jetzt erinnerte er sich wieder.
    Harry hat das gleiche Grinsen um die Mundwinkel wie sein Vater und Großvater. Auch die Nase konnte ihre Herkunft nicht leugnen. Harrys Kinder sahen ihm ähnlich. Er hatte noch nie vorher ein Bild von ihnen gesehen. Im Zeitalter der kosmischen Raumfahrt waren familiäre Bindungen loser denn je.
    Trotzdem – das Foto zeigte eine Familie, keine beliebige Menschengruppe. Seine Familie. Auf einer fremden, aber schönen Welt.
    Er las noch einmal Harrys Brief und Einladung. Ob Dr. Vincenti auch so eine Einladung erhalten hatte, als er die Erde für immer verließ? Oder war er einer jener Männer, die um das Geheimnis der sogenannten Unsterblichkeit wußten? Hatte er die Konsequenzen gezogen?
    Zwanzig Jahre dauerte der Flug nach Alpha Centauri, und sie würden immer schneller vergehen …
    »… und die Jahre schwinden, bis nur die wertvollsten verbleiben.«
    Ja, das war der Text des Liedes, der ihm gestern nicht eingefallen war. Oder wenigstens so ähnlich.
    Die letzten Jahre des Lebens waren die wertvollsten.
    Amandas Stimme riß ihn aus seinen Träumen.
    »Mr. Jordan möchte mit Ihnen sprechen, Sir. Er sagt, es sei wichtig.«
    »Verbinden Sie mich mit ihm, Amanda.«
    Er ließ den Projektor eingeschaltet. Als Jordans Gesicht auf dem Schirm erschien, wartete er nicht erst, was der Ingenieur zu sagen hatte. Er kam jedem Protest zuvor, indem er einfach die Bemerkung fallenließ:
    »Jordan, Sie können mit dem Bau des Schiffes beginnen. Ich habe einen Freiwilligen gefunden.«
    Nicht ganz freiwillig, dachte er bitter, als Jordans Gesicht ohne Kommentar vom Schirm verschwand. Man hat mich zu dieser Entscheidung gezwungen. Vielleicht opfere ich mich umsonst – mich und die letzten, wertvollen Jahre.

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