Heyne Galaxy 05
denkst, aber meine Auffassung ist…«
»Weißt du, was ich heute mal überlegt habe?«
»Nein. Aber um die Wahrheit zu sagen …«
»Ich habe über Picasso und Roualt nachgedacht. Ich ging über den alten Markt, um zu frühstücken – alte Methode, weißt du? Meine Hände sind schneller als die Augen der anderen. Ich dachte also über die moderne Malerei nach. Sie macht mir Sorgen.«
»Sorgen? Ich dachte …«
»Ich ging also die Bleekerstraße hinunter, Richtung Washington Park, und dachte nach. Wer, so überlegte ich, kann also wirklich als großer, zeitgenössischer Künstler betrachtet werden? Wer leistet wirklich etwas, das unvergänglichen Wert besitzt? Nun, drei Namen sind es, die mir in den Sinn kamen: Picasso, Roualt – und mein Name. Außer uns kann niemand malen, sage ich dir. Höchstens kopieren. Drei Namen also nur sind es, die Unsterblichkeit verdienen. Drei Namen, mehr nicht. Diese Gewißheit macht mich einsam, Dave.«
»Das sehe ich ein, aber wenn ich dazu etwas sagen darf …«
»Und dann fragte ich mich, warum das wohl so ist. Gibt es denn wirklich so wenig echte Genies? Muß es eine Begrenzung geben, die nur ein gewisses Entfaltungsvermögen erlaubt? Darf jede Zeitepoche nur ein oder zwei Genies hervorbringen? Und warum läßt meine Entdeckung so lange auf sich warten? Ich habe lange über diese Frage nachgedacht, Dave. Es ist eine wichtige Frage, nicht für mich, sondern für die gesamte Menschheit. Aber ich glaube, ich habe die Antwort gefunden.«
Ich gab es auf. Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück – nicht zu weit, versteht sich – und hörte ihm zu. Schon tausendmal hatte ich ihm so zugehört. Es gab auch andere Maler, die ähnliche Theorien hatten. Ich kannte sie alle. Der einzige Unterschied nur war, daß allein Morniel sich für das größte Genie aller Zeiten hielt, aber das wird Sie wohl kaum noch überraschen.
Er stammte aus Pittsburg und war von dort nach New York gekommen, ein unrasierter Bursche, der sich einbildete, malen zu können. In jenen Tagen bewunderte er noch Gauguin und versuchte ihn zu kopieren. Erst nachdem er einige Semester Kunstakademie hinter sich hatte und einen kleinen, blonden Vollbart entwickelte, gab er das Kopieren auf. Er hatte nun seine eigene Technik, die er »Schmutz auf Schmutz« nannte.
Er war schlecht und hatte kein Talent, darüber konnte es bei den Kunstkennern zu keiner Diskussion kommen. Es war nicht nur meine Meinung, es war die Meinung von Experten, die sich der Mühe unterzogen, seine Werke genau zu betrachten und zu analysieren.
Einer dieser Kritiker kam in meine Wohnung und sah ein Bild von Morniel über dem Kamin hängen. Morniel hatte es mir aufgezwungen und darauf bestanden, daß ich es ausgerechnet im Wohnzimmer zur Schau stellte. Der Kritiker betrachtete es mit herabgezogenen Mundwinkeln und urteilte schließlich so:
»Das Bild sagt mir überhaupt nichts. Der Künstler hat erstens nichts zu sagen, und zweitens fehlen ihm sämtliche Voraussetzungen, eine eventuell vorhandene Vorstellung in Farbe oder Form umzusetzen. Weiß auf Weiß, Schmutz auf Schmutz – wie immer man es auch nennen will. Keine Aussage, weder objektiv noch abstrakt, nichts. Einfach nichts! Ein Nichtskönner, der sich einbildet, ein moderner Künstler zu sein.«
Warum also verschwendete ich meine Zeit mit Morniel? Nun, er wohnt in meiner Nachbarschaft, gleich um die Ecke. In einer gewissen Art konnte er mich von meinen eigenen Problemen ablenken. Oft, wenn ich bis spät in die Nacht hinein vor meiner Schreibmaschine gesessen hatte, ohne eine einzige Zeile zu produzieren, tat mir die frische Luft gut. Ich spazierte dann zu Morniel. Vielleicht auch nur deshalb, weil ich bei ihm sicher war, nicht über Literatur reden zu müssen.
Natürlich konnte man die Unterhaltungen mit ihm nicht als Gespräche oder Diskussionen bezeichnen. Es waren nur Monologe, bei denen ich den Zuhörer spielte. Nur ab und zu gelang es mir, durch einen Einwurf den Redefluß für Sekunden zu unterbrechen.
Sehen Sie, der Unterschied zwischen ihm und mir war der: meine Arbeiten wurden veröffentlicht, wenn auch meist in Form billiger Ausgaben, und ich konnte davon leben. Seine Arbeiten aber waren noch niemals ausgestellt worden. Kein einziges Mal. Und er lebte nicht von ihnen. Er lebte vom Markt und seinem Sessel.
Es gab aber noch andere Gründe, die mich dazu bewegten, die Freundschaft mit ihm nicht abflauen zu lassen. Denn wenn er auch nicht malen konnte, so hatte er doch wenigstens
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