Heyne Galaxy 05
ein Talent, das ich allerdings nicht besaß.
Sicher, ich konnte, wie erwähnt, von meiner Schreiberei leben, aber eben doch nicht zu gut. Gutes Papier und teure Bücher kamen für mich nicht in Frage, so sehr ich mich auch danach sehnte. Ich konnte mir das einfach nicht erlauben. Wenn aber mein Verlangen danach zu groß wurde, ging ich zu Morniel und sagte es ihm.
Dann spazierten wir hinüber in den großen Buchladen, getrennt natürlich. Ich begann dann eine angeregte Unterhaltung mit dem Inhaber über einige antiquarische Werke, die ich vielleicht gern bestellen möchte. Da es ein Hobby des Ladenbesitzers war, über alte Bücher zu reden, kümmerte er sich nicht mehr um seine anderen Kunden, besonders nicht um Morniel, der in den Bücherregalen herumstöberte und nach den Werken von Wallace Stevens suchte, die ich selbstverständlich später einmal bezahlen werde, wenn ich das nötige Kleingeld auftreiben kann.
Da hatte er nun wirklich Talent, wie ich schon erwähnte. Bisher ist er niemals erwischt worden. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, würde ich sagen, denn auf ähnliche Art und Weise war ich ihm behilflich, seine Vorräte an Leinwand, Pinsel und Farben aufzufrischen. So kamen wir ganz gut miteinander zurecht, wenn ich auch meine Freundschaft teuer bezahlen mußte, indem ich mir stundenlang seine Monologe anhörte. Dazu kam das schlechte Gewissen, denn ich war überzeugt, daß er nicht im Traum daran dachte, die bestohlenen Geschäfte eines Tages, falls er wirklich berühmt werden sollte, für ihren Verlust zu entschädigen. Nun, ich jedenfalls habe es vor.
»Ich kann doch wirklich nicht so einmalig sein, wie ich fühle«, sagte er. »Es muß auch andere Menschen geben, die ein großes Talent in sich tragen. Aber sie verstehen nicht, es zur Entfaltung zu bringen. Sie unterdrücken es. Es stirbt in ihnen, bevor es sich entwickeln kann. Warum? Wieso? Nun, untersuchen wir doch einmal die Rolle, die unsere soziologische Ordnung dabei spielt und …«
In diesem Augenblick sah ich es. Morniel sagte gerade das Wort »soziologische Ordnung«, als ich vor der Wand mir gegenüber ein purpurnes Flimmern entdeckte. Die schimmernden Umrisse einer seltsamen Maschine wurden sichtbar. Und in dieser Maschine saß ein Mann. Sie schwebte anderthalb Meter über dem Fußboden, und die Formen veränderten sich dauernd, als bestünde die ganze Erscheinung nur aus erhitzter Luft, die man gefärbt hatte.
Eine Sekunde später war der Spuk verschwunden.
Es war überhaupt nicht heiß zu dieser Jahreszeit. Auch Halluzinationen hatte ich noch nie gehabt. Wenn ich also etwas gesehen hatte, dann höchstens einen neuen Riß in Morniels Wand. Immerhin lag die Wohnung direkt unter dem Dach, und das war alles andere als dicht. Wenn es stark regnete, liefen die Tropfen an der Wand herab und verursachten immer wieder neue Spuren. Es war also durchaus möglich, wenn auch unwahrscheinlich …
Aber warum in Purpur? Und woher stammten die Umrisse eines Menschen in dem Kasten oder in der Maschine? Eine verdammt gute Illusion, wenn es eine war. Und warum war sie so plötzlich verschwunden?
Ich hörte Morniel reden, während ich darüber nachdachte:
»… und dazu kommt der ewige Konflikt zwischen Staat und dem Individuum, das sein eigenes Leben zu leben wünscht. Jeder hat seine eigene Auffassung von Kunst.« Morniel hob dramatisch die Hände. »Weiter ist zu bemerken …«
Diesmal kündigte sich die Erscheinung durch leise Sphärenmusik an. Gleichzeitig fast erschienen diesmal die purpurnen Umrisse in der Mitte des Raumes, nur noch einen halben Meter hoch. Deutlich war der Kasten zu erkennen, durchsichtig und verschwommen, in seiner Mitte die Gestalt eines Mannes.
Morniel setzte die Füße auf den Boden und starrte die Erscheinung an.
»Was, zum Teufel …!« begann er und verstummte jäh.
Die Erscheinung war verschwunden.
»Was… was … was ist denn das?« stotterte Morniel verblüfft.
»Keine Ahnung«, erklärte ich. »Aber was immer es auch sein mag, es versucht uns zu orten. Es kommt immer näher.«
»Es kommt näher?«
»Ja, es versucht…« Wie sollte ich mich ausdrücken? »Es versucht, einen ganz bestimmten Ort zu finden, um dort Gestalt anzunehmen.«
Wieder die musikalische Untermalung. Als die Maschine diesmal zu schimmern begann, stand sie inmitten des Raumes direkt auf dem Fußboden. Sie wurde allmählich dunkler und nahm Substanz an. Die Töne der Begleitmusik wurden höher, bis sie endlich die Grenze des menschlichen
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