Heyne Galaxy 05
Sie, Mr. Mathaway. Ich darf von mir allen Ernstes behaupten, daß ich in meiner Zeitperiode der größte lebende Fachmann hinsichtlich des Werkes und des Lebens von Morniel Mathaway bin.«
Morniel wurde weiß im Gesicht. Er wankte zum Bett und ließ sich darauf fallen, als seien seine Knie plötzlich weich geworden. Mehrmals öffnete er den Mund, um einen Ton hervorzubringen, aber er blieb stumm. Endlich ballte er die Fäuste und gab sich einen Ruck.
»Sie meinen … Sie meinen, ich werde so berühmt?«
»Berühmt? Mein Herr, Sie stehen jenseits allen Ruhms. Sie gehören zu den wenigen Unsterblichen, die von der menschlichen Rasse hervorgebracht wurden. In meinem Buch mit dem Titel ›Mathaway, der Mann, der unsere Zukunft formte‹ habe ich es so ausgedrückt: ›Wie selten doch wird der Menschheit ein wahres Genie geboren …‹ «
»So berühmt also!« Der blonde Bart Morniels zitterte, und fast sah es so aus, als weine sein Besitzer vor Glück. »Mein Gott, so berühmt!«
»Ja, so berühmt«, versicherte Mr. Glescu. »Wer ist denn der Mann, von dem man behauptet, er erst habe den Beginn der modernen Malerei markiert? Wie heißt der Mann, dessen spezielle Farbenmanipulationen die Architektur der vergangenen fünf Jahrhunderte beeinflußten? Wer ist für die Planung unserer modernen Städte verantwortlich? Wer hat die neue Mode seit Jahrhunderten mit seinen Ideen durchsetzt?«
»Ich?« wisperte Morniel fassungslos.
»Natürlich Sie, wer denn sonst? Keine Persönlichkeit der Kunstgeschichte hat jemals einen solchen Einfluß auf die Entwicklung der Menschheit ausgeübt wie Sie. Mit wem sollte man Sie vergleichen? Gibt es einen Künstler, der sich überhaupt mit Ihnen vergleichen ließe?«
»Rembrandt«, schlug Morniel tapfer vor. Er war offensichtlich bemüht, seinem Besucher zu helfen. »Oder Leonardo da Vinci.«
»Rembrandt oder Vinci in einem Atemzug mit Ihrem Namen zu nennen ist eine Blasphemie«, sagte Glescu empört. »Einfach lächerlich! Ihnen fehlte Ihr universales Denken und Können, Ihr kosmisches Fühlen. Nein, um überhaupt einen Vergleich zu finden, muß man die Malerei verlassen und auf ein anderes Gebiet überwechseln. Shakespeare vielleicht. Auch er dachte universell. Auch er hinterließ bleibende Eindrücke und beeinflußte die englische Sprache. Und doch – selbst Shakespeare … selbst Shakespeare …«
Er schüttelte bedauernd den Kopf, als täte es ihm leid, keinen ebenbürtigen Namen gefunden zu haben.
»Puh!« machte Morniel. Ihm fiel nichts anderes ein.
»Da wir gerade von Shakespeare sprechen«, sagte ich, die Gelegenheit nutzend, »kennen Sie vielleicht einen Schriftsteller David Dantzinger? Sind einige seiner Werke noch bekannt?«
»Sind Sie das?«
»Ja. Ich bin David Dantzinger.«
Auf seiner Stirn entstanden einige Falten.
»Ich kann mich wirklich nicht erinnern. Warten Sie mal, der einzige Autor Ihrer Zeit, der heute noch bekannt ist, ist ein gewisser Peter Tedd. Sicherlich kennen Sie ihn.«
»Peter Tedd? Nie gehört. Wer soll das sein?«
»Dann ist er noch nicht entdeckt worden. Aber vergessen Sie nicht, daß ich auf Malerei spezialisiert bin, nicht auf Literaturgeschichte, Es ist durchaus möglich, daß Ihr Name einem unserer Literaturhistoriker bekannt ist. Durchaus möglich.«
Ich warf Morniel einen Blick zu. Er saß auf dem Bett und grinste mir entgegen. Er hatte sich von dem Schock erholt und genoß die Situation in vollen Zügen. Seine Stellung, meine Stellung. Alles genoß er.
In diesem Augenblick haßte ich ihn.
Warum ausgerechnet ein Mensch wie Morniel Mathaway, fragte ich mich. Es gab soviel Maler, die nicht nur Künstler, sondern auch Menschen waren. Ausgerechnet dieses verkommene Individuum …
Aber, so stellte ich bei mir fest, erst die Geschichte entscheidet, wer wirklich berühmter ist. Es gab soviel Menschen, die zu ihrer Zeit groß und berühmt waren, während man sie nach ihrem Tod schnell vergaß. Dieser Zeitgenosse von Beethoven, zum Beispiel. Er galt damals als der berühmtere. Heute kennen nur Musikhistoriker noch seinen Namen.
Mr. Glescu sah auf seine rechte Hand. Ein kleiner, dunkler Fleck war dort, der sich ständig ausdehnte und dann wieder zusammenzog.
»Ich habe nicht mehr viel Zeit«, sagte er. »Es ist für mich ein großes und einmaliges Erlebnis, Mr. Mathaway, in Ihrem Atelier stehen zu dürfen, Sie selbst zu sehen und Ihnen die Hand zu geben. Aber wäre es zuviel verlangt, wenn ich Sie um einen Gefallen bitten
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