Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heyne Galaxy 12

Heyne Galaxy 12

Titel: Heyne Galaxy 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter (Hrsg.) Ernsting
Vom Netzwerk:
der Stadt dann doch den Rücken kehrte, ist daher ziemlich unerklärlich. Er war in New York aufgewachsen und hatte sich mit der Zeit an die kleinen Unannehmlichkeiten des städtischen Lebens gewöhnt. Sein Appartement im 290. Stockwerk des Levitfrack-Gebäudes an der Neunundneunzigsten Straße war mit allem ausgestattet, was das Herz begehrte. Die Einrichtung war im modernen ›Raumschiff‹-Stil gehalten, die Plexiglas-Doppelfenster hatten eine angenehme Tönung, und die Luftschächte arbeiteten geräuschlos. Das Filtersystem schaltete sich automatisch ein, wenn die Verschmutzung der Luft einen bestimmten Grad überstieg. Gewiß, sein Sauerstoff-Stickstoff- Erneuerer war nicht mehr der jüngste, aber er arbeitete verläßlich. Dagegen war seine Wasserreinigungs-Anlage hoffnungslos veraltet. Aber wer trank denn schon noch Wasser?
    Natürlich war der Lärm eine Belästigung, der in New York niemand entrinnen konnte. Aber Carmody wußte, daß sich hier keine Abhilfe schaffen ließ. Der Menschheit war die Kunst der Schallabdichtung verlorengegangen, und so war der Städter seinem Nachbarn hilflos ausgeliefert; er mußte Diskussionen, Musik und Wasserrauschen über sich ergehen lassen. Allerdings ließ sich diese Qual ertragen, wenn man selbst zu der allgemeinen Geräuschkulisse beitrug.
    Jedenfalls ist es eigentlich unmöglich, für Carmodys plötzliche Entscheidung einen ausschlaggebenden Faktor anzuführen. Er entschloß sich, das – wie es allgemein genannt wurde – erregendste städtische Ballungszentrum der Erde zu verlassen. Vielleicht handelte er aus einem Impuls heraus, vielleicht ließ er sich von den Vorstellungen seiner Phantasie davontragen – vielleicht war er auch nur ein wenig verrückt. Jedenfalls schlug Carmody eines Morgens sein Exemplar der Daily-Times-News auf und stieß auf eine Anzeige für eine Modellstadt in New Jersey.
    »Leben Sie in Bellweather, der Stadt, die sich um Sie sorgt!« verhieß die Anzeige. Es folgte eine Liste utopischer Anpreisungen, die hier nicht wiederholt zu werden brauchen.
    »Oh«, sagte Carmody und las weiter.
    Bellweather lag sehr günstig. Man fuhr durch den Ulysses-S.-Grant-Tunnel an der dreiundvierzigsten Straße, nahm den Hoboken-Nebenzubringer bis zur Kreuzung der Palisades-Interstate-Schnellstraße, folgte etwa fünf Kilometer lang der Blau-Spur, die auf die US 5 (die Den Haag Schnellstraße) führte. Nach etwa zehn Kilometern bog man auf die Garden-State-Entlastungsstraße ab, auf der man westwärts bis zur Abfahrt 1731 A fuhr. Jetzt befand man sich auf der Highbridge-Gate-Straße, der man nur noch weitere drei Kilometer zu folgen brauchte, um am Ziel zu sein.
    »Bei Jingo!« sagte Carmody. »Das mach' ich!«
    Und er tat es.
    Die Highbridge-Gate-Straße endete in einer gepflegten Grünanlage. Carmody stieg aus und sah sich um. In einiger Entfernung war eine kleine Stadt sichtbar, die von einem bescheidenen Schild als Bellweather identifiziert wurde.
    Carmody sah auf den ersten Blick, daß Bellweather anders war als andere amerikanische Städte. Diese Stadt hatte keine endlosen Ausläufer aus Tankstellen und Motels, keine Tentakel aus Würstchenständen und Schnellrestaurants, keinen Schutzwall aus Autofriedhöfen und sonstigen Scheußlichkeiten. Nein, sie erhob sich – ähnlich wie ein italienisches Hügeldorf – mit unerwarteter Abruptheit und nahm den Besucher bereits nach den ersten Metern völlig in sich auf. Carmody gefiel das sehr.
    Bellweather machte einen freundlichen und aufgeschlossenen Eindruck. Die Straßen waren großzügig angelegt, und die großen Schaufenster schienen eine besondere Freizügigkeit zu verheißen. Mit jedem Schritt stieß Carmody auf neue Überraschungen. Er erreichte einen Platz, der ihn an eine römische Piazza in Kleinformat erinnerte; in der Mitte erhob sich ein Brunnen mit der Marmorgestalt eines Jungen und eines Delphins. Aus dem Maul des Tieres drang ein klarer Wasserstrahl.
    »Ich hoffe, er gefällt Ihnen«, sagte eine Stimme hinter Carmody.
    »O ja«, erwiderte Carmody.
    »Ich hab' ihn selbst entworfen und gebaut«, fuhr die Stimme fort. »Ich bin der Meinung, daß so ein Brunnen eine wichtige ästhetische Funktion erfüllt, auch wenn die Idee nicht unbedingt neu ist. Und dieser Platz mit seinen Bänken und schattigen Kastanien ist nach einer Piazza in Bologna gestaltet. Auch hier ließ ich mich nicht von der Befürchtung abschrecken, altmodisch zu wirken. Der echte Künstler ist sich der wichtigen Dinge stets bewußt

Weitere Kostenlose Bücher