Heyne Galaxy 14
die sich für das amphibische Leben entschlossen. Wir waren damals Versuchstiere, die ohnehin nicht viel zu verlieren hatten und die der übrigen Welt bewiesen, wie angenehm und sicher das neue Leben ist – sicherer jedenfalls als ein Leben in einem schnell alternden Körper.
Sehr bald fanden auch die meisten anderen Menschen einen Grund, es mit der neuen Daseinsform zu versuchen, so daß unsere Gemeinde schnell wuchs und inzwischen über eine Milliarde Mitglieder haben dürfte – unsichtbare, nichtmaterielle, unzerstörbare und selbstgenügsame Mitglieder, die sich selbst gegenüber ehrlich sind, anderen nicht zur Last fallen und sich vor nichts fürchten.
Im körperlosen Zustand hätten die Amphibienpioniere auf einem Stecknadelkopf Platz. Wenn wir jedoch am Paradetag körperlich unterwegs sind, brauchen wir über fünftausend Quadratmeter und müssen etwa drei Tonnen Nahrung zu uns nehmen, um unsere Körper aufzumöbeln. Außerdem holen sich viele eine Erkältung oder eine andere Infektion oder geraten in Wut, weil ihnen jemand auf die Zehen getreten ist, oder werden eifersüchtig, weil nicht alle an der Spitze marschieren können. Ach, es gibt viele Probleme.
Ich bin nicht sonderlich interessiert an dieser Parade, und das körperliche Zusammensein scheint immer nur das Schlimmste in uns zum Ausbruch zu bringen, wie ausgeglichen unsere Psyche auch ist. Im letzten Jahr zum Beispiel herrschte ein außerordentlich heißes Wetter, und stundenlang in den schwitzenden, durstigen Körpern eingeschlossen zu sein, war kein Vergnügen. So kam es zwangsläufig zu Reibereien. Der Parademarschall drohte mir an, sein Körper werde meinem Körper eine gehörige Tracht Prügel verabreichen, wenn ich noch einmal aus dem Schritt käme. Als Parademarschall hatte er natürlich – abgesehen von Königswassers Cowboy – den besten Körper, aber ich sagte ihm, daß er sich zum Teufel scheren sollte. Er holte zum Schlag aus, woraufhin ich meinen Körper einfach verließ. Ich konnte hinterher nicht einmal sagen, ob der Schlag noch sein Ziel gefunden hatte. Jedenfalls mußte der Flegel das Ding persönlich in die Bewahrzentrale zurückbringen.
Meine Wut auf ihn war in dem Augenblick verraucht, als ich den Körper verließ. Ich konnte ihn irgendwie verstehen, denn nur ein Heiliger vermag freundlich und zuvorkommend zu bleiben, wenn er sich mit einem Körper abschleppen muß. Dagegen ist mir noch kein Amphibienmensch begegnet, der im körperlosen Zustand nicht guter Dinge gewesen wäre, und ich kenne keinen, der freudig in einen Körper zurückkehrt, sei es auch nur für kurze Zeit.
Denn im Augenblick des Eintritts beginnt die Chemie wieder auf die Psyche einzuwirken – die Drüsen machen den Menschen erregbar oder hungrig oder müde oder – nun, man wußte nie, was im nächsten Augenblick passieren konnte.
Aus diesem Grunde kann ich mich auch nicht sonderlich über unsere Feinde aufregen – über die Menschen, die gegen das amphibische Leben eingestellt sind. Sie verlassen ihre Körper nie und wollen es auch nicht versuchen. Außerdem wollen sie verhindern, daß sich andere Menschen damit vertraut machen, und es ist sogar ihr Bestreben, Amphibienmenschen in einen Körper zu treiben und an der Rückkehr in den körperlosen Zustand zu hindern.
Madge bekam natürlich sofort Wind von meinem Streit mit dem Parademarschall und ließ ihren Körper in der Damen-Hilfsmannschaft zurück. Nachdem wir uns auf diese Weise von der Qual des Tages befreit hatten, beschlossen wir in einem Anflug von Kühnheit, uns einmal ins feindliche Lager zu wagen.
Normalerweise habe ich keine besondere Lust zu solchen Eskapaden. Madge dagegen schaut sich gern die Kleider der Frauen an, deren Mode sehr oft wechselt. Mir selbst ist Mode ziemlich gleichgültig, und was es sonst noch im Feindgebiet zu sehen und zu hören gibt, ist ohnehin zum Steinerweichen.
Gewöhnlich unterhält man sich dort über die altmodische Fortpflanzung, die im Vergleich zu den Methoden der Amphibienmenschen sehr umständlich, komisch und unbequem ist. Das zweite Gesprächsthema ist das Essen – die Zusammensetzung der Chemikalien, die man in diesen Kreisen regelmäßig zu sich nehmen muß. Oder man redet über die Angst, die wir damals als Politik bezeichneten – über Arbeitspolitik, Gesellschaftspolitik und Regierungspolitik.
Unseren Gegnern gefällt es ganz und gar nicht, daß wir sie zu jeder Zeit und an jedem Ort beobachten können, ohne daß wir gesehen werden. Sie
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