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Heyne Galaxy 14

Heyne Galaxy 14

Titel: Heyne Galaxy 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter (Hrsg.) Ernsting
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seiner Haustür bewußt wurde, daß es sein eigener. Körper gewesen war, der dort im Regen gelegen hatte.
    Er kehrte um und nahm von seinem Körper in dem Augenblick wieder Besitz, als die Retter ihre Bemühungen einstellen wollten. Um sie nicht unnötig zu beunruhigen, ließ er den Körper nach Hause wandern, dirigierte ihn hier in die Besenkammer und ließ ihn dort einfach stehen.
    Von jetzt an kehrte er nur in den Körper zurück, wenn er schreiben oder die Seiten eines Buches umschlagen wollte, oder wenn er ihn füttern mußte, damit er für die Arbeiten, die ihm verblieben, ausreichend gestärkt war. Die übrige Zeit saß der Körper bewegungslos in der Besenkammer, sah ein wenig verwirrt drein und verbrauchte kaum Energie. Königswasser sagte mir erst neulich, daß er das Ding damals für etwa einen Dollar in der Woche in Betrieb hielt und nur einsetzte, wenn er es wirklich brauchte.
    Das wirklich Gute an der Sache war die Tatsache, daß Königswasser nicht mehr schlafen mußte, weil es der Körper gewesen war, der den Schlaf gebraucht hatte. Und er brauchte auch keine Angst mehr zu haben, weil er nun nicht mehr in der ständigen Angst lebte, verletzt zu werden. Auch das ungesunde Streben nach materiellen Dingen ließ nach, denn er brauchte kein Vermögen mehr für Dinge auszugeben, die seiner persönlichen Bequemlichkeit dienten. Und wenn sich der Körper einmal nicht wohl fühlte, blieb ihm Königswasser einfach fern, bis es ihm wieder besser ging.
    Mit Hilfe seines Körpers schrieb er ein Buch über die Chance jedes Menschen, seinen Körper zu verlassen – ein Buch, das von dreiundzwanzig Verlagen abgelehnt wurde. Der vierundzwanzigste verkaufte davon zwei Millionen Exemplare, und das Buch veränderte das Leben der Menschheit mehr als es die Erfindung des Feuers, der Zahlen, des Alphabets, der Landwirtschaft oder des Rades vermocht hatten. Als jemand Königswasser darauf aufmerksam machte, entgegnete er nur verächtlich, daß das ein schwaches Lob für sein Buch sei und einer Verdammnis gleichkomme. So ganz unrecht schien er nicht zu haben.
    Wer Königswassers Buch sorgfältig las und seine Anweisungen über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren befolgte, konnte es lernen, seinen Körper nach Wunsch zu verlassen. Den ersten Schritt bildete das Verständnis der Tatsache, daß der Körper ein Parasit und Diktator war. Anschließend wurden die Wünsche des Körpers von denen des Menschen – der Psyche des Menschen – getrennt. Und indem man sich dann auf die eigenen Wünsche konzentrierte und die Interessen des Körpers weitgehend ignorierte, kam endlich die Psyche zu ihrem Recht und wurde selbständig.
    Unbewußt hatte Königswasser genau diese Entwicklung durchgemacht, die dann in der Trennung von Geist und Körper vor dem Löwenkäfig ihren Höhepunkt erfuhr. Während seine Psyche weiter dem Füttern der Löwen zuschaute, war sein Körper unkontrolliert in den See marschiert.
    Wenn die Psyche erst einmal selbständig genug geworden war, brauchte man nur einen kleinen Trick anzuwenden, um die Trennung zu vollziehen. Man setzte den Körper in eine bestimmte Richtung in Bewegung und gab seiner Psyche dann plötzlich eine völlig andere Richtung. Im Stehen funktionierte es nicht. Aus irgendeinem Grunde mußte sich der Körper in Bewegung befinden.
    Zuerst kamen Madge und ich ohne unsere Körper kaum zurecht. In dieser Zeit ähnelten wir wahrscheinlich den ersten Seetieren, die vor Millionen von Jahren an Land gespült wurden und nur im Schlamm herumkriechen konnten und verzweifelt die Kiemen bewegten. Aber mit der Zeit ging es uns besser; die Psyche paßt sich einer neuen Umgebung stets sehr viel schneller an als ein Körper.
    Daß wir unsere Körper verlassen wollten, dafür hatten Madge und ich unsere guten Gründe – wie überhaupt jeder, der damals ganz zu Anfang die Tollkühnheit aufbrachte, sich für ein amphibisches Leben zu entschließen. Madges Körper war krank und hielt es nicht mehr lange aus, und da sie ohnehin bald von mir gehen würde, konnte ich auch keine rechte Lust zum Leben mehr aufbringen. Also studierten wir Königswassers Buch und versuchten Madges Psyche von ihrem Körper zu trennen, ehe er starb. Ich machte die Sache mit, damit sich keiner von uns einsam fühlte. Und wir schafften es auch gerade – sechs Wochen, ehe ihr Körper praktisch zerfiel.
    So kommt es, daß wir jedes Jahr am Pioniertag mitmarschieren, denn an der Parade dürfen nur die ersten fünftausend Menschen teilnehmen,

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