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hinzu, dass er sich bereits bei zwei englischen Familien als Heiratsschwindler versucht habe. Heydrich wurde damals wegen weit weniger aus der Armee geworfen. Der Minister übermittelt die Informationen an Oberst Moravec, Geheimdienstchef und verantwortlich für alle Spezialeinsätze. Genau an diesem Punkt wird das Schicksal vieler Menschen besiegelt. Was tut Moravec? Nichts. In Čurdas Akte vermerkt er lediglich, der Mann sei ein guter Sportler und verfüge über verlässliche körperliche Kapazitäten. Er nimmt Čurda nicht aus dem kleinen Kreis von Fallschirmspringern heraus, die für besondere Missionen eingesetzt werden. Und in der Nacht vom 27. auf den 28. März 1942 wird Čurda gemeinsam mit zwei weiteren Mitgliedern seiner Einheit über Mähren abgesetzt. Mit Hilfe des lokalen Widerstands gelangt er nach Prag.
Nach dem Krieg macht jemand folgende Beobachtung: Von den wenigen Dutzend Fallschirmspringern, die ausgewählt wurden, um im Protektorat eine Mission zu erfüllen, gaben beinahe alle an, aus patriotischen Motiven zu handeln. Nur zwei, darunter Čurda, erklärten, sie hätten sich aus Abenteuerlust freiwillig gemeldet – und diese beiden wurden zu Verrätern.
Doch der Verrat des anderen reicht in seiner Tragweite nicht annähernd an den Karel Čurdas heran.
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Der Bahnhof von Prag ist ein beeindruckendes, aber düsteres Steingebäude, das von zwei bedrohlich wirkenden Türmen gekrönt wird und an eine Zeichnung von Enki Bilal erinnert. Heute ist der 20. April 1942, der Geburtstag des Führers, und Präsident Hácha macht Hitler im Namen des tschechischen Volkes ein Geschenk: einen Lazarettzug. Die offizielle Zeremonie kann entsprechend nur im Bahnhof stattfinden. Den krönenden Abschluss wird Heydrichs Besuch dieses Zuges bilden. Während Heydrich den Zug besichtigt, versammelt sich draußen eine Menge Schaulustiger, genau dort, wo ein in den Boden gerammtes weißes Schild verkündet: «Hier stand die Statue von Wilson, die auf Anweisung des Reichsprotektors, SS-Obergruppenführer Heydrich, entfernt wurde.» Gerne würde ich schreiben, dass sich in der Menschenmenge auch Gabčik und Kubiš befanden, doch leider weiß ich das nicht, und ich bezweifle es. Heydrich bei einem solchen Anlass ausfindig zu machen, ist für sie von keinerlei praktischem Nutzen, schließlich handelt es sich um ein punktuelles Ereignis, das sich nicht wiederholen wird. Außerdem ist das Gelände natürlich dem Anlass entsprechend streng bewacht, und ihre Anwesenheit würde sie unnötigen Risiken aussetzen.
Dafür bin ich so gut wie sicher, dass der Witz, der unmittelbar danach in der Stadt die Runde machte, hier entstand. Ich stelle mir vor, wie jemand aus der Menge, zweifellos ein alter Tscheche mit dem typisch tschechischen Sinn für Humor, laut zu den Umstehenden sagte: «Armer Hitler! Er muss ganz schön krank sein, wenn er einen ganzen Zug braucht, um sich behandeln zu lassen …» Ganz der schelmische Soldat Schwejk.
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Jozef Gabčik liegt auf seinem kleinen Eisenbett und lauscht dem Bimmeln der Tram, die draußen zum Karlovo náměstí, dem Karlsplatz, hinauffährt. Ganz in der Nähe liegt die Straße Resslova, die zum Fluss hin abfällt und noch nicht ahnt, dass sie bald Schauplatz einer Tragödie sein wird. Einige Lichtstrahlen schieben sich durch die geschlossenen Fensterläden der Wohnung, die den Fallschirmspringer zu dieser Zeit heimlich beherbergt. Von Zeit zu Zeit hört man im Flur, auf dem Treppenabsatz oder bei einem Nachbarn das Parkett quietschen. Gabčik ist wie gewöhnlich wachsam, aber gelassen. Sein Blick ist zur Zimmerdecke gerichtet, und im Geiste erscheinen ihm dort verschiedene Europakarten. Auf einer davon hat die Tschechoslowakei ihre vollständige Fläche und die alten Grenzen wiedererlangt. Auf einer anderen hat die braune Pest den Ärmelkanal überquert, und Großbritannien baumelt hilflos an einer der Krallen des Hakenkreuzes. Gabčik und Kubiš erzählen jedem, der es hören will, dass der Krieg in weniger als einem Jahr beendet sein wird, und mit Sicherheit glauben sie auch selbst daran. Und natürlich wird der Krieg nicht so ausgehen, wie es sich die Deutschen erhoffen. Die Kriegserklärung an die Sowjetunion – ein fataler Fehler des größenwahnsinnigen Deutschen Reiches. Die Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten, um den Verpflichtungen gegenüber Japan nachzukommen – zweiter Fehler. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass Frankreich 1940 besiegt wurde, weil es seine
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