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HHhH

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Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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Versprechungen gegenüber der Tschechoslowakei 1938 nicht eingehalten hatte, während Deutschland darauf zusteuert, den Krieg zu verlieren, weil es seinen Verpflichtungen gegenüber Japan nachkommt. Aber ein Jahr! Rückblickend gesehen zeugt das von rührendem Optimismus.
    Ich bin sicher, dass derartige geopolitische Überlegungen Gabčik und seine Freunde im Geist beschäftigen und für endlose nächtliche Diskussionen sorgen, wenn sie keinen Schlaf finden. Beim Reden können sie sich zumindest ein wenig entspannen und die Angst vor einer nächtlichen Visite der Gestapo verdrängen. So müssen sie nicht ununterbrochen auf das kleinste Geräusch auf der Straße, am Hauseingang oder im Haus selbst lauschen, nicht ständig eingebildete Klingelgeräusche vernehmen und können dabei trotzdem auf tatsächliches Klingeln achten.
    Es ist eine andere Epoche, in der die Menschen jeden Tag ungeduldig warten – nicht auf die Sportergebnisse, sondern auf die Neuigkeiten von der russischen Front.
    Trotzdem ist die russische Front nicht Gabčiks größte Sorge. Mitten im Krieg ist seine Mission momentan das Wichtigste für ihn. Wie viele glauben daran? Gabčik und Kubiš sind davon überzeugt. Ebenso Valčík, der hübsche jungenhafte Fallschirmspringer, der ihnen helfen wird. Und Oberst Moravec, Chef des tschechischen Geheimdienstes in London. Auch Präsident Beneš glaubt momentan daran. Und ich. Das sind alle, glaube ich. Nur eine Handvoll Männer weiß überhaupt von der Operation «Anthropoid». Doch selbst unter ihnen sind einige dagegen.
    Das gilt für die Offiziere unter den Fallschirmspringern, die in Prag operieren, sowie für die Vorsitzenden des inneren Widerstands (oder das, was davon übrig geblieben ist), weil sie Repressalien befürchten, sollte die Aktion gelingen. Gabčik hatte vor kurzem eine unangenehme Auseinandersetzung mit ihnen. Sie wollten ihn dazu bringen, von der Mission zurückzutreten oder zumindest eine andere Zielperson auszuwählen, einen bekannten tschechischen Kollaborateur anstelle von Heydrich, zum Beispiel Emanuel Moravec. Diese Furcht vor den Deutschen! Wie ein Herr, der seinen Hund schlägt: Der Hund mag ihm zwar manchmal nicht gehorchen, aber er würde sich niemals gegen ihn wenden.
    Leutnant Bartoš, ebenfalls von London ausgesandt und per Fallschirm abgesetzt, um anderen Widerstandsakten nachzugehen, wollte sogar den Befehl erteilen, die Operation abzublasen. Unter den Fallschirmspringern in Prag besitzt er den höchsten Dienstgrad. Doch Dienstgrade sind hier nicht von Bedeutung. Die Gruppe «Anthropoid», bestehend lediglich aus Gabčik und Kubiš, erhielt ihre Anweisungen in London, von Präsident Beneš persönlich. Sie brauchen von niemandem mehr Befehle entgegenzunehmen. Sie müssen ihre Mission einfach nur zu Ende bringen, das ist alles, was zählt. Jeder, der Gabčik und Kubiš kennenlernte, bezeugte ihre menschlichen Qualitäten, ihre Großzügigkeit, ihren Optimismus und ihre Hingabe. «Anthropoid» ist eine Maschine, die nicht mehr angehalten werden kann.
    Bartoš wandte sich mit der Bitte, «Anthropoid» zu stoppen, an London. Als Antwort erhielt er eine für ihn vollkommen unverständliche codierte Nachricht, die nur Gabčik und Kubiš entschlüsseln konnten. Mit dem Text in der Hand liegt Gabčik ausgestreckt auf seinem Bett. Niemand konnte dieses geschichtsträchtige Schriftstück jemals ausfindig machen. Doch aufgrund der wenigen rätselhaften Zeilen nimmt das Schicksal seinen Lauf: Der Plan bleibt bestehen. Somit ist die Mission «Anthropoid» bestätigt. Heydrich wird sterben. Draußen ertönt das metallische Quietschen einer anfahrenden Tram.

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    Standartenführer Paul Blobel, Führer des Sonderkommandos 4a der Einsatzgruppe C, die ihre Aufgabe im ukrainischen Babi Yar mit so großem Eifer ausführte, ist kurz davor, den Verstand zu verlieren. Als er durch das nächtliche Kiew am Schauplatz seiner Verbrechen vorbeifährt und im Scheinwerferlicht das grauenerregende Spektakel der verdammten Schlucht betrachtet, gleicht er Macbeth, dem die Phantome seiner Opfer erscheinen. Dazu muss man sagen, dass die Toten von Babi Yar nicht so einfach in Vergessenheit geraten, weil die Erde, in der sie begraben wurden, lebendig ist. Dampf steigt aus ihr auf, Erdklumpen zischen wie Sektkorken durch die Gegend, während die Erde Blasen wirft, die durch die Gase der verwesenden Leichname entstehen. Der Gestank ist abscheulich. Blobel verkündet seinen Besuchern unter irrem Gelächter:

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