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HHhH

HHhH

Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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Arme in sehnigen Algen.» Ich weiß nicht, wieso, aber mir gefällt dieses Bild.

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    Ich meine, eine Figur zu erfinden, um historische Fakten verständlich zu machen, ist, wie Beweise zu fälschen. Oder, wie mein Halbbruder es ausdrückt, mit dem ich über all das diskutiere, als ob man belastende Beweise am Ort des Verbrechens hinterlegt, obwohl bereits jede Menge Beweismaterial den Boden bedeckt .

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    Eine schicksalhafte Stimmung wie auf einem Schwarzweißfoto schwebt 1942 über Prag. Die vorbeiziehenden Männer tragen Schlapphüte und dunkle Anzüge, die Frauen sehen mit ihren knielangen Bleistiftröcken alle wie Sekretärinnen aus. Ich weiß das, ich habe Fotos vor mir liegen. Wobei – ich muss zugeben, ein wenig zu übertreiben –, sie sehen nicht alle aus wie Sekretärinnen. Einige wirken wie Krankenschwestern.
    Die tschechischen Polizisten, die mitten auf der Kreuzung stehen und den Verkehr regeln, haben mit ihren ulkigen Helmen eine eigenartige Ähnlichkeit mit den englischen Bobbys in London – und das, obwohl gerade erst der Rechtsverkehr eingeführt wurde …
    Immer wieder fahren Straßenbahnen vorbei und lassen ihr Glockenbimmeln ertönen. Sie ähneln den alten rot-weißen Bahnwaggons (woher ich das weiß, wo die Fotos doch schwarzweiß sind? Ich weiß es einfach, Punktum). Die runden Scheinwerfer sehen aus wie Laternen.
    Die Fassaden der Gebäude in der Nové Město tragen leuchtende Neonschilder zur Schau, die für alles Mögliche Reklame machen: für Bier, Kleidermarken und natürlich für Bata, den bekannten Schuhfabrikanten am Wenzelsplatz, der einer riesigen Allee gleicht und beinahe ebenso lang und breit ist wie die Champs-Élysées.
    Um genau zu sein, scheint die ganze Stadt mit Zeichen übersät zu sein, nicht nur mit Reklame. Überall sieht man ein V, das zunächst ein Symbol des tschechischen Widerstands war, dann aber von den Nazis vereinnahmt wurde und wie eine Ermahnung zum Endsieg des Reiches wirkt. V auf den Trams, den Autos, einige sogar in den Boden eingeritzt, überall V, die vom Kampf zwischen den ideologischen Strömungen künden.
    Auf einer kahlen Mauer Graffiti: Ž idi ven , Juden raus! In den Schaufenstern die beruhigende Nachricht: Č iste arijský obchod , rein arisches Geschäft. Und im Lokal: Ž ádá se zdvořile, by se nehovořilo o politice . Unsere verehrte Kundschaft wird gebeten, nicht über Politik zu reden.
    Und dann diese unheilverkündenden roten Plakate, die wie alle Hinweisschilder der Stadt zweisprachig sind.
    Ganz zu schweigen von den Fahnen und Bannern. Keine Fahne besitzt so viel Aussagekraft wie das schwarze Kreuz im weißen Kreis auf rotem Hintergrund. Übrigens wies mich einmal jemand darauf hin, dass diese Farben exakt denen der Handelskette Darty entsprechen. Darüber war ich zugegebenermaßen ganz schön perplex …
    Wie dem auch sei, Prag in den vierziger Jahren ist zweifellos geprägt von einer ganz eigenen Stimmung, die mit heiterer Gelassenheit wenig zu tun hat. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie sich auf den Fotos Humphrey Bogart unter die Passanten mischt oder Lida Baarová, die ausgesprochen schöne und berühmte tschechische Schauspielerin (auch ihr Foto habe ich vor Augen; auf dem Titelblatt einer Kinozeitschrift). Vor Kriegsausbruch war sie Goebbels’ Geliebte. Eine seltsame Epoche.
    Ich kenne ein Restaurant mit dem Namen «Zu den zwei Katzen» in den Altstadt-Arkaden, mit einem Fresko von zwei riesigen Katzen auf beiden Seiten der Bögen. Allerdings weiß ich nicht, ob es den Gasthof «Zu den drei Katzen» auch noch gibt und, wenn ja, wo er sich genau befindet.
    Jedenfalls sitzen dort drei Männer bei einem Bier zusammen, ohne über Politik zu sprechen. Sie sprechen über Uhrzeiten. Gabčik und Kubiš sitzen einem Tischler gegenüber. Er ist aber kein gewöhnlicher Tischler, sondern der Tischler der Burg und sieht dank seiner Position jeden Tag Heydrichs Mercedes heranfahren. Und abends sieht er ihn wieder fortfahren.
    Kubiš führt das Gespräch mit ihm, denn der Tischler ist Mähre, so wie er selbst. Sein Akzent wirkt beruhigend auf ihn. «Mach dir keine Sorgen, du hilfst uns im Vorfeld, aber nicht währenddessen. Wenn wir zuschlagen, bist du in sicherer Entfernung.»
    Ach was! Wohl doch kein so großes Geheimnis, die Operation «Anthropoid»? Selbst der Tischler, von dem man nur Informationen über die Uhrzeiten bekommen möchte, wird mir nichts, dir nichts darüber in Kenntnis gesetzt. Ich hatte bereits irgendwo gelesen, dass

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