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HHhH

HHhH

Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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treffen muss. Wie dem auch sei, es bleibt keine Zeit mehr, etwas Geeigneteres zu finden. Die Wahl fällt also auf die Kurve der Klein-Holeschowitz-Straße, die heute nicht mehr existiert, verschlungen von einem Autobahnzubringer und der Modernität, der meine Erinnerungen gleichgültig sind.
    Denn gerade kommen mir Erinnerungen. Jeden Tag, jede Stunde wird die Erinnerung deutlicher. Mir ist, als hätte ich schon ewig in dieser Kurve der Klein-Holeschowitz-Straße gewartet.

199
    Ich verbringe einige Ferientage in einem schönen Haus in Toulon und schreibe ein wenig. Es ist kein gewöhnliches Haus. Es ist der ehemalige Wohnsitz eines elsässischen Buchdruckers, der im Rahmen seiner beruflichen Aktivitäten mit Éluard und Elsa Triolet (und auch Claudel) zusammentraf. Während des Kriegs war er in Lyon, wo er für Juden gefälschte Papiere druckte und den Bestand des Verlagshauses Éditions de Minuit hortete. Sein Grundstück in Toulon wurde währenddessen von Lagern der deutschen Armee besetzt, doch anscheinend bewohnte niemand sein Haus, das instand geblieben ist. Die Möbel und Bücher haben sich nicht vom Fleck bewegt und sind heute noch dort.
    Seine Großnichte weiß, welches Interesse ich der Epoche entgegenbringe, und zeigt mir ein winziges Werk aus der Familienbibliothek. Es handelt sich um die Originalausgabe von Vercors’ Silence de la mer vom 25. Juli 1943, dem «Tag des Falls des römischen Tyrannen», wie am Ende des Buches vermerkt ist. Der Autor widmete das Buch seinem Großonkel:
Dieses Exemplar widme ich Pierre Braun und seiner Frau
mit dem Verbundenheitsgefühl derjenigen,
deren düstere Tage
Le Silence de la Mer
hinfortzuspülen vermochte. In aufrichtiger Anerkennung
Vercors.
    Ich bin im Urlaub und halte ein Stück Geschichte in den Händen – ein sehr warmes und angenehmes Gefühl.

200
    Es kursieren alarmierende Gerüchte über Heydrich. Angeblich wird er Prag verlassen. Für immer. Morgen soll er nach Berlin fliegen. Man weiß nicht, ob er zurückkehren wird. Für die tschechische Bevölkerung wäre das mit Sicherheit eine Riesenerleichterung. Doch für das Projekt «Anthropoid» wäre es ein Fiasko. Es sind alarmierende Neuigkeiten für die Fallschirmspringer und, obwohl sie nichts davon wissen, auch für … die Franzosen. Unter den Historikern munkelt man, dass Heydrich nun, da er seine Mission, im Protektorat für Ordnung zu sorgen, erfüllt hat, danach strebt, sich, wie wir heute sagen würden, «einer neuen Herausforderung zu stellen». Nachdem er in Böhmen-Mähren mit einer unglaublichen Brutalität durchgegriffen hat, werde er sich als Nächstes um Frankreich kümmern.
    Heydrich soll nach Berlin reisen, um mit Hitler die Modalitäten zu besprechen. Frankreich befindet sich in Aufruhr, Pétain und Laval sind Jammergestalten, und wenn Heydrich mit der französischen Résistance genauso verführe wie mit dem tschechischen Widerstand, wäre alles perfekt.
    Es ist nur eine Hypothese, die immerhin dadurch untermauert wird, dass Heydrich bereits zwei Wochen zuvor in Paris war.

201
    In jenem Mai 1942 verbrachte Heydrich also eine Woche in Paris. Bei www.ina.fr habe ich einen Filmbericht über seinen Besuch gefunden: einen Ausschnitt aus den damaligen Nachrichten, einen 59-sekündigen Filmbeitrag, der sich mit Heydrichs Besuch befasst. Mit der für die vierziger Jahre so typischen näselnden Stimme verkündet der Kommentator:
    «Paris. Ankunft von Herrn Heydrich, Chef der Gestapo und des Sicherheitsdienstes der SS, stellvertretender Reichsprotektor von Prag, beauftragt von Herrn Himmler, Reichsführer SS und Chef der Schutzstaffel, Herrn Oberg in seine neue Funktion als höherer SS- und Polizeiführer in den Besatzungsgebieten einzuweisen. Wie man weiß, ist Heydrich Präsident der internationalen kriminalpolizeilichen Kommission, und Frankreich wurde in dieser Kommission immer repräsentiert. Der General nutzte seinen Aufenthalt in Paris, um Herrn Bousquet zu empfangen, den Generalsekretär der Polizei, und Herrn Hilaire, Generalsekretär der Verwaltung. Herr Heydrich nahm zudem Kontakt zu Herrn Darquier de Pellepoix auf, der kürzlich zum Generalkommissar für Judenfragen ernannt worden war, sowie mit Herrn Brinon.»
    Dieses Treffen zwischen Heydrich und Bousquet hat mich schon immer stutzig gemacht, zu gern besäße ich die Gesprächsprotokolle. Bousquet konnte nach dem Krieg lange Zeit glaubhaft machen, er hätte Heydrich die Stirn geboten. Es stimmt, dass er sich in einem Punkt

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