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kategorisch weigerte nachzugeben: Die Vorrechte der französischen Polizei sollten nicht beschnitten werden – diese Vorrechte bestanden in erster Linie darin, Menschen festnehmen zu können. Vor allem Juden. Heydrich hat nichts dagegen einzuwenden, dass die lokale Polizeiinstanz auf diese Weise vorgeht, schließlich spart es den Deutschen Arbeit. Er vertraut Oberg an, seine Erfahrung im Protektorat habe ihn gelehrt, dass mit einer weitreichenden Autonomie der Polizei und Verwaltung die besten Ergebnisse erzielt würden. Selbstverständlich unter der Bedingung, dass Bousquet seine Polizei mit der gleichen Gesinnung leite wie er die deutsche Polizei. Doch Heydrich hegt nicht den leisesten Zweifel, dass Bousquet der Situation gewachsen ist. Am Ende seines Frankreichaufenthaltes verkündet er, die einzige politische Persönlichkeit, die Jugend, Intelligenz und Autorität in sich vereine, sei Bousquet. Mit Männern wie ihm könne man das Europa von morgen aufbauen, ein Europa, das sich von dem heutigen grundlegend unterscheide.
Als Heydrich René Bousquet über die bevorstehende Deportation der «staatenlosen» (soll heißen: nicht französischen) Juden, die in Drancy interniert sind, informiert, schlägt Bousquet spontan vor, seine staatenlosen Juden, die in der Freizone interniert sind, hinzuzufügen. Noch geflissentlicher geht’s nicht!
202
René Bousquet blieb ein Leben lang mit François Mitterrand befreundet, doch das ist nicht der größte Vorwurf, der ihm gemacht wird.
Bousquet ist weder Polizist wie Barbie noch Milizionär wie Touvier und nicht einmal Generalsekretär einer Präfektur wie Papon in Bordeaux. Er ist ein erstklassiger Politiker, dem eine brillante Karriere bevorsteht, der sich jedoch auf das Gleis der Kollaboration begibt und bei der Deportation der Juden die Hand im Spiel hat. Er stellt sicher, dass die Razzia des Wintervelodroms Vél’ d’Hiv’ (Deckname: «Vent printanier») im Juli 1942 von der französischen Polizei durchgeführt wird und nicht von den Deutschen. Er ist also für die vermutlich größte Schandtat verantwortlich, die der Geschichte der französischen Nation anhaftet. Die Tatsache, dass sie sich heute «französischer Staat» nennt, ändert natürlich nichts daran. Wie viele Fußballweltmeisterschaften müssen gewonnen werden, um einen solchen Schandfleck reinzuwaschen?
Nach dem Krieg entkommt Bousquet den Fängen der Sainte Épuration, doch seine Teilnahme am Vichy-Regime zerstört trotzdem die politische Karriere, die ihm bevorzustehen schien. Er steht dennoch nicht auf der Straße, sondern besetzt in Folge gleich mehrere Verwaltungsposten, so auch bei La Dépêche du Midi , wo er eine harte anti-gaullistische Linie vorgibt, und das immerhin von … 1959 bis 1971. Kurz und gut, er profitiert von der immer noch großen Toleranz der führenden Klassen gegenüber selbst den kompromittiertesten unter ihnen. Später trifft er sich gern – und vermutlich nicht ohne eine gewisse Häme – mit Simone Veil, einer Auschwitz-Überlebenden, die nichts von seinen Vichy-Aktivitäten weiß.
Seine Vergangenheit holt ihn in den achtziger Jahren schließlich doch noch ein, und 1991 wird er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.
Die strafrechtliche Untersuchung findet zwei Jahre später ein jähes Ende, als er bei sich zu Hause von einem geltungssüchtigen Spinner ermordet wird. Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Kerl, wie er eine Pressekonferenz gibt, kurz nachdem er Bousquet getötet hat und kurz bevor die Polizei ihn festnimmt. Ich erinnere mich an seinen selbstzufriedenen Gesichtsausdruck, während er in aller Seelenruhe berichtet, er habe das nur getan, um von sich reden zu machen. Schon damals fand ich das sagenhaft dämlich.
Dieser spektakuläre Vollidiot scheint geradewegs einem Albtraum entsprungen zu sein, wie selbst Debord ihn niemals zu inszenieren gewagt hätte, und beraubte uns eines Prozesses, der zehnmal interessanter gewesen wäre als die Prozesse von Papon und Barbie zusammen, interessanter als die von Pétain und Laval, interessanter als Landru und Petiot, der Jahrhundertprozess. Für sein skandalöses Attentat auf die Geschichte bekam der unermessliche Hohlkopf zehn Jahre, sieben davon hat er abgesessen, und heute ist er frei. Jemandem wie Bousquet gegenüber empfinde ich abgrundtiefe Abscheu und grenzenlose Verachtung, doch wenn ich an die Dummheit seines Mörders denke, den gewaltigen Verlust, den seine Tat für die Historiker
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