HHhH
die Fallschirmspringer nicht immer größte Diskretion walten ließen. Andererseits, warum sollten sie auch alles groß verschleiern? Dem Tischler wird schon klar sein, dass Heydrichs An- und Abfahrtzeiten nicht dazu dienen, eine Statistik über das Mercedes-Verkehrsaufkommen in Prag zu erstellen. Ich lese den Zeugenbericht des Tischlers erneut. Zumindest bläute ihm Kubiš mit seinem schönsten mährischen Akzent vorsichtshalber ein: «Kein Wort darüber zu Hause!» Na immerhin …
Fortan soll der Tischler also jeden Tag die Uhrzeit notieren, zu der Heydrich auf der Burg ankommt oder sie verlässt, und vermerken, ob er in Begleitung einer Eskorte ist oder nicht.
194
Heydrich ist überall zugleich: in Prag, in Berlin und in diesem Mai auch in Paris.
In den holzgetäfelten Salons des Pariser Hotels Majestic empfängt der Polizeigeneral und Chef des SD auf Görings Anweisung hohe SS-Besatzungsoffiziere, um sie über den aktuellen Stand der Aufgabe zu unterrichten, mit der er betraut wurde und die bisher weder der Welt noch seinen Männern als die «Endlösung» bekannt ist.
In jenem Mai 1942 werden die Exekutionsmethoden der Einsatzgruppen endgültig als zu nervenzerfetzend für die beteiligten Soldaten angesehen. Die anfänglichen Massenerschießungen sind bereits da und dort durch Gaswagen ersetzt worden. Dieses neuere System ist einfach und effizient zugleich: Die Juden müssen in einen Lkw steigen, dessen Auspuffgase mittels eines Schlauchs ins Wageninnere geleitet werden, um die Opfer mit Kohlenmonoxid zu vergasen. Die Methode bietet gleich zwei Vorteile: Die Juden werden alle auf einmal getötet, ohne die Nerven der Todeskommandos zu sehr auf die Zerreißprobe zu stellen. Außerdem beobachteten die Verantwortlichen eine in ihren Augen amüsante Kuriosität: Die Leichen hatten sich rosarot verfärbt. Das einzige Haar in der Suppe ist, dass die Wagen nach jeder Vergasung von Exkrementen gereinigt werden müssen, die die Sterbenden absondern.
Doch auch die Technik der Vergasungs-Lkws erklärt Heydrich für unzureichend, es müssten nun «größere, perfektere, zahlenmäßig ergiebigere Lösungen» gefunden werden. Die Zuhörerschaft hängt an seinen Lippen, und Heydrich fügt abrupt hinzu: «Über die Gesamtheit der europäischen Juden ist das Todesurteil gesprochen.» In Anbetracht der Tatsache, dass die Einsatzgruppen bereits mehr als eine Million Juden getötet haben, frage ich mich, bei welchem Zuhörer diesbezüglich tatsächlich noch Klärungsbedarf besteht.
Das ist das zweite Mal, dass ich Heydrich dabei erwische, beim Verkünden seiner Absichten bewusst auf Wirkung zu setzen. Schon als er Eichmann kurz vor der Wannseekonferenz darüber informierte, dass der Führer die Vernichtung aller Juden beschlossen hatte, ließ er seiner Verkündung ein gewichtiges Schweigen folgen, das seinen Mitarbeiter verdutzte. Nun, in beiden Fällen kann man nicht behaupten, dass es sich um eine Überraschung handelte, auch wenn nichts wirklich offiziell war. Ich glaube, dass es Heydrich weniger darum ging, genussvoll einen Sensationsbericht zu vermelden, sondern dass er sich vielmehr am Vorgeschmack ergötzte, das schier Unglaubliche, Undenkbare in Worte zu fassen, als verleihe er der noch unvorstellbaren Wahrheit damit bereits Gestalt. Nach dem Motto: Das muss einmal deutlich gesagt werden, auch wenn Sie es bereits wissen. Aber es ist meine Aufgabe, es Ihnen zu sagen, und unser aller Aufgabe, es durchzuführen. Ein Redner im Rausch der Gefühle, während er das Unbenennbare beschreibt. Ein trunkenes Monster als Verkünder der bevorstehenden Monstrositäten.
195
Der Tischler zeigt ihnen die Stelle, an der Heydrich jeden Tag aus seinem Wagen steigt. Gabčik und Kubiš blicken sich um. Hinter einem Haus entdecken sie eine Nische, in der sie auf Heydrich warten und zuschlagen könnten. Doch natürlich ist dieser Bereich stark bewacht. Wie der Tischler beteuert, würde ihnen keine Zeit zur Flucht bleiben, und sie würden die Burg nicht lebend verlassen. Nun, Gabčik und Kubiš sind bereit zu sterben, waren es von Anfang an, so viel ist klar. Doch jetzt möchten sie trotzdem versuchen, lebendig zu entkommen. Sie suchen einen Plan, der ihnen tatsächliche Überlebenschancen bietet, und seien sie auch nur minimal, denn beide haben Pläne für die Zeit nach dem Krieg. Unter den Tschechen, die in der inneren Widerstandsbewegung ihr Leben riskieren, um ihnen zu helfen, gibt es auch mutige und hübsche junge Frauen. Ich kenne so
Weitere Kostenlose Bücher