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nicht, dass Gabčik in diesem Moment rückwärts über die Schulter schießt, um seinen Feind tatsächlich zu treffen, sondern er will ihm vielmehr signalisieren, dass es riskant ist, ihm zu nahe zu kommen. Im Laufschritt lassen die beiden Männer das Chaos auf der Kreuzung zurück. Doch vor ihnen zeichnet sich eine immer deutlicher werdende Silhouette ab: Valčík nähert sich ihnen. Gabčik sieht, wie er mit der Waffe in der Hand herbeigelaufen kommt, stehen bleibt, um zu zielen, und dann zusammenbricht, bevor er einen Schuss abgegeben hat.
«Do píči!» In dem Moment, in dem er hinfällt, wobei er einen durchdringenden Schmerz im Oberschenkel verspürt, kann Valčík sich nichts anderes sagen als: «Scheiße, was für ein Idiot!» Von einer Kugel des Deutschen getroffen, hat er keine Chance mehr. Jetzt ist der SS-Hüne nur noch wenige Meter von ihm entfernt. Valčík ist sich sicher, dass sein letztes Stündlein geschlagen hat. Ihm wird nicht die Zeit bleiben, seine Waffe, die er hat fallen lassen, wieder aufzuheben. Doch als Klein auf seiner Höhe ankommt, geschieht das Wunder: Er bleibt nicht stehen. Entweder misst der Deutsche Gabčik eine größere Bedeutung bei, oder er hat vor lauter Konzentration auf sein Ziel nicht gesehen, dass Valčík bewaffnet war und bereit, auf ihn zu schießen. Oder er hat ihn ganz einfach gar nicht gesehen. Er läuft an ihm vorbei, ohne innezuhalten, wirft ihm nicht einmal einen Blick zu. Valčík kann sich glücklich schätzen, trotzdem ist er wütend: Anscheinend wurde er von einem Querschläger getroffen! Wie sinnlos. Als er sich umdreht, sind die beiden Männer verschwunden.
Weiter unten ist die Situation nicht weniger konfus. Eine junge blonde Frau hat die Lage jedoch voll und ganz begriffen. Sie ist Deutsche und hat Heydrich erkannt, der auf der Straße liegt und sich den Rücken hält. Mit der Autorität, die ihr der Glaube an die Zugehörigkeit zur Herrenrasse verleiht, hält sie ein Auto an und befiehlt den beiden Insassen, den Reichsprotektor ins nächstgelegene Krankenhaus zu fahren. Der Fahrer protestiert: Sein Wagen sei mit Pralinenschachteln beladen, die die gesamte Rückbank einnähmen. Die Blonde brüllt ihm entgegen, er solle sofort ausladen. Eine weitere surreale Szene, die der Fahrer selbst erzählt hat: Die beiden Tschechen beginnen wenig begeistert, die Schachteln wie in Zeitlupe auszuladen, während die junge blonde Frau, hübsch und elegant in ihrem Kostüm, um Heydrich herumscharwenzelt und auf Deutsch auf ihn einplappert, was er aber nicht zu hören scheint. Doch die deutsche Frau hat definitiv einen guten Tag. An der Kreuzung taucht ein anderes Fahrzeug auf, das sie mit einem Blick als geeigneter einschätzt. Es ist ein kleiner Tatra-Lieferwagen, der Schuhcreme und Parkettwachs geladen hat. Die Blonde läuft auf ihn zu und ruft dem Fahrer zu, er solle anhalten.
«Was gibt’s denn?»
«Ein Attentat!»
«Na und?»
«Sie müssen den Herrn Obergruppenführer ins Krankenhaus bringen.»
«Warum gerade ich?»
«Ihr Wagen ist leer.»
«Aber er wird es da nicht bequem haben, hinten liegen Kartons mit Parkettwachs, das ist doch des Herrn Reichsprotektors nicht würdig, zwischen stinkendem Zeug zu sitzen.»
«Schnell!»
Der Mann im Tatra hat keine Wahl, er fügt sich. Ein inzwischen eingetroffener Polizist stützt Heydrich und bringt ihn zum Wagen. Man sieht, dass der Reichsprotektor sich bemüht, aufrecht zu gehen, es ihm aber nicht gelingen will. Von seiner zerrissenen Uniform tropft Blut. Vorsichtig nimmt er auf dem Vordersitz Platz, die eine Hand an der Pistole, in der anderen seine Aktentasche. Der Lieferwagen fährt an und rollt die Anhöhe hinunter. Doch der Fahrer besinnt sich, dass der schnellste Weg zum Krankenhaus in die andere Richtung führt, also wendet er den Wagen. Das Manöver entgeht Heydrich nicht, und er ruft: «Wohin fahren wir?» Der Fahrer spricht nicht viel Deutsch, versteht aber Heydrichs Frage. Doch ihm will das deutsche Wort «Krankenhaus» einfach nicht einfallen. Also schweigt er. Heydrich brüllt weiter auf ihn ein und bedroht ihn mit seiner Waffe. Glücklicherweise sind sie wieder an der Stelle angelangt, an der sie Heydrich eingesammelt haben. Der Fahrer erblickt die blonde Frau, die immer noch dasteht und sofort auf das Fahrzeug zugelaufen kommt. Der Fahrer erklärt ihr die Situation auf Tschechisch. Heydrich murmelt der Blonden etwas zu. Er kann nicht vorn sitzen bleiben, es ist zu niedrig für ihn. Also hilft man ihm
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