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HHhH

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Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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beschleunigen unaufhaltsam.» Und weiter unten: «Immer bereit, den Schlafwandler zu entzücken, verspricht Göring, blitzartig fünfhundert weitere Flugzeuge mit Raketenantrieb hinterherzuschicken. Dann eilt er zu einem romantischen Rendezvous mit Leinwandsternchen Lida Baarová.» Die Tschechin. Ich muss aufpassen, meine Zitate alle sieben Zeilen zu unterbrechen, wenn ich einen Autor zitiere. Nicht mehr als sieben Zeilen, so wie Verbrecher nicht länger als dreißig Sekunden telefonieren, damit die Telefonspitzel sie nicht lokalisieren können. «In Moskau verkündet Marschall Tuchatschewski, im nächsten Krieg werden die Operationen breit angelegten Großmanövern gleichen. Er wird sogleich erschossen werden. Dann erscheinen die Minister Zentraleuropas (sie werden ebenfalls ermordet) auf den Balkonen, die von marmornen nackten Damen gestützt werden, und schwingen schwelgerische Reden. Dabei achten sie ununterbrochen angespannt auf das Klingeln des Telefons.» In der Zeitung erklärt mir irgendjemand: Es handle sich um eine Erzählung «von geringer Intensität», der Roman sei «wunderbar, aber kaum ein Geschichtszeugnis», dessen Lektüre man «nicht mit zu großer Aufmerksamkeit betreiben» dürfe. Ich verstehe. Ich werde mich daran erinnern.
    Wo war ich noch gleich?

221
    Ich bin genau dort, wo ich hinwollte. Ein Vulkan bedeckt die Kurve der Klein-Holeschowitz-Straße mit glühendem Adrenalin. Das ist der Moment, in dem die Summe aller persönlichen Entscheidungen, Entscheidungen auf Mikroebene, die ausschließlich instinktiv und aus Angst heraus getroffen wurden, dazu führt, dass die Geschichte eines ihrer bombastischsten Beben, einen schallenden Schluckauf, erlebt.
    Der Körper eines jeden Anwesenden verrichtet seinen Dienst. Klein, der Chauffeur, fährt nicht weiter, was ein Fehler ist.
    Heydrich erhebt sich und zieht seine Waffe. Zweiter Fehler. Hätte Klein dieselbe Wachsamkeit an den Tag gelegt wie Heydrich, oder wäre Heydrich wie Klein auf seinem Sitz zu einer Salzsäule erstarrt, wäre zweifellos alles anders gelaufen und ich vermutlich nicht einmal da, um davon zu berichten.
    Kubiš’ Arm beschreibt einen Kreisbogen, und die Bombe fliegt. Doch niemand, so viel ist klar, tut jemals genau das, was er soll. Kubiš zielt auf den Vordersitz, doch die Bombe landet neben dem rechten Hinterreifen. Trotzdem explodiert sie.

[zur Inhaltsübersicht]
    Zweiter Teil
    «Eine alarmierende Nachricht kommt aus Prag.»
    Eintrag aus Goebbels’ Tagebuch vom 28. Mai 1942

222
    Die Bombe explodiert, und die Druckwelle zerschmettert die Scheiben der Tram gegenüber. Der Mercedes wird einen Meter in die Luft gehoben. Kubiš wird von Splittern im Gesicht getroffen und stürzt hintüber. Eine Rauchwolke hüllt das Geschehen ein. Aus der Straßenbahn ertönen Schreie. Eine SS-Uniformjacke, die auf der Rückbank lag, segelt durch die Luft. Mehrere Sekunden lang richten sich die Blicke der entgeisterten Zeugen auf nichts anderes als auf die Uniformjacke, die über der Rauchwolke durch die Luft schwebt. Ich jedenfalls sehe nichts anderes. Wie ein totes Blatt beschreibt die Jacke weitläufige Spiralen, während das Echo der Explosion sich gemächlich bis nach Berlin und London ausbreitet. Außer den Schallwellen und der fliegenden Jacke bewegt sich nichts. Es gibt kein weiteres Lebenszeichen in der Kurve der Klein-Holeschowitz-Straße. Von nun an erzähle ich jede Sekunde. In der nächsten wird schon wieder alles anders sein. Doch hier, an diesem klaren Mittwochmorgen des 27. Mai 1942, verlangsamt sich der Lauf der Zeit zum zweiten Mal innerhalb von zwei Minuten, wenn auch nicht auf die gleiche Weise.
    Der Mercedes schlägt auf dem Asphalt auf. In Berlin zieht Hitler nicht für eine einzige Sekunde in Betracht, dass Heydrich sein Treffen mit ihm am Abend nicht einhalten könnte. In London möchte Beneš an den Erfolg der Operation «Anthropoid» glauben. Reichlich Stolz in beiden Fällen. Als der platte rechte Hinterreifen, der als letzter der vier noch in der Luft schwebt, schließlich auf dem Boden aufsetzt, kommt die Zeit wieder in Gang. Instinktiv greift Heydrich mit der rechten Hand hinter sich und zieht seine Pistole. Kubiš rappelt sich auf. Die Passagiere einer weiteren Tram kleben an den Fenstern, um das Geschehen zu verfolgen, während die in der ersten husten, schreien und panisch zum Ausgang drängen. Hitler schläft noch. Beneš blättert angespannt durch Moravecs Berichte. Churchill genehmigt sich bereits den

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