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beim Aussteigen und lässt ihn sich bäuchlings hinten niederlegen – inmitten der Schuhcreme- und Parkettwachspakete. Heydrich verlangt nach seiner Aktentasche und bekommt sie zugeworfen. Der Tatra fährt wieder an. Heydrich fasst sich wieder an den Rücken, mit der anderen Hand bedeckt er sein Gesicht.
Währenddessen flüchtet Gabčik immer noch im Laufschritt. Mit seiner Krawatte, die im Wind weht, und den zerzausten Haaren könnte man ihn für Cary Grant in Der unsichtbare Dritte halten – oder für Belmondo in Abenteuer in Rio . Doch obwohl Gabčik sehr gut in Form ist, besitzt er nicht das übermenschliche Durchhaltevermögen, das der französische Schauspieler in seiner extravaganten Rolle an den Tag legt. Im Gegensatz zu Belmondo kann Gabčik nicht ununterbrochen weiterlaufen. Es ist ihm gelungen, mit einem Zickzacklauf durch das umliegende Wohnviertel einen kleinen Vorsprung vor seinem Verfolger zu gewinnen, er hat ihn aber noch nicht ganz abhängen können. Doch jedes Mal, wenn er um eine Straßenecke verschwindet, gewinnt er einige Sekunden, in denen er aus Kleins Sichtfeld verschwindet. Davon muss er profitieren. Außer Atem erspäht er ein geöffnetes Geschäft und stürzt genau in der Zeitspanne hinein, in der Klein ihn nicht sehen kann. Unglücklicherweise hat er den Namen des Geschäfts nicht gelesen: Metzgerei Brauner. Als er den Verkäufer atemlos bittet, ihn zu verstecken, eilt dieser nach draußen, erblickt den herbeistürmenden Klein und deutet wortlos auf sein Geschäft. Brauner ist nicht nur Deutsch-Tscheche, sondern er hat zu allem Überfluss noch einen Bruder bei der Gestapo. Gabčik sitzt also übel in der Falle – in die Enge getrieben im Hinterzimmer einer Nazi-Fleischerei. Doch Klein ist während der Verfolgung nicht entgangen, dass der Flüchtige bewaffnet ist. Er betritt die Metzgerei nicht, sondern versteckt sich hinter einem Gartenzaun und ballert wie von Sinnen ins Ladeninnere. Seit Gabčik hinter seinem Telegraphenmasten darauf wartete, dass Heydrich aufhört, auf ihn zu schießen, hat sich seine Situation also nicht wesentlich verbessert. Wie dem auch sei, entweder verlässt er sich auf seine Zielsicherheit, oder ein einfacher SS-Mann in zwei Metern Entfernung schüchtert ihn weniger ein als der Henker von Prag persönlich, jedenfalls fühlt er sich jetzt mehr imstande zu reagieren als vorher. Er verlässt seine Deckung für eine Sekunde, kann einen Umriss hinter dem Zaun erkennen, legt an, schießt, und Klein stürzt, am Bein getroffen, zu Boden. Gabčik vergeudet keine Zeit, kommt aus dem Laden herausgeschossen, sprintet an dem am Boden liegenden Deutschen vorbei auf die Straße und rennt weiter. Doch in dem Labyrinth aus kleinen Straßen findet er sich nicht zurecht. An der nächsten Kreuzung erstarrt er. Am Ende der Straße, die er im Begriff ist entlangzulaufen, erblickt er den Beginn der Kurve: Während seiner kopflosen Flucht ist er im Kreis gelaufen und fast wieder am Ausgangspunkt angekommen. Ein wahrgewordener kafkaesker Albtraum im Schnelldurchlauf. Er verschwindet in der anderen Straße, die von der Kreuzung abzweigt und zum Fluss hinunterführt. Und ich hinke durch die Straßen Prags, schleppe mich Na poříčí hinauf, ziehe mein verletztes Bein hinter mir her und sehe ihn in der Ferne verschwinden.
Der Tatra erreicht das Krankenhaus. Heydrich ist gelb angelaufen, kann sich kaum auf den Beinen halten. Man trägt ihn unverzüglich in den Operationssaal und hilft ihm aus der Jacke. Mit nacktem Oberkörper mustert er die Krankenschwester, die erschreckt flüchtet, ohne ihn aufzufordern, die übrige Kleidung abzulegen. Er bleibt allein auf dem Operationstisch sitzen. Ich gäbe viel dafür, zu wissen, wie lang dieser kurze Moment des Alleinseins genau andauerte. Ein Mann in schwarzem Mantel betritt den OP. Bei Heydrichs Anblick macht er große Augen, blickt sich einmal im Saal um und verschwindet direkt wieder, um zu telefonieren. Er gibt Order, unverzüglich eine SS-Einheit herbeizusenden. Nein, es handle sich nicht um einen Fehlalarm. Ja, Heydrich! Er wiederhole: Der Reichsprotektor sei vor Ort und verletzt. Nein, das wisse er nicht. Schnell! Dann taucht der erste Arzt auf, ein Tscheche. Er ist weiß wie die Wand, beginnt aber umgehend, die Wunde mit einer Pinzette und Tupfern zu versorgen. Sie ist acht Zentimeter lang, voller Splitter und kleiner Schmutzpartikel. Heydrich rührt sich nicht, während die Pinzette in der Wunde herumfährt. Ein zweiter Arzt, ein
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