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HHhH

HHhH

Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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doppeltes Kalkül. Zum einen richtet er sein Fahrrad bergab , um das relativ langsame Anfahren auszugleichen und so schnell wie möglich an Geschwindigkeit zu gewinnen. Höchstwahrscheinlich ging er davon aus, dass es sich nicht wirklich gut anfühlen würde, mit einem aufgestachelten SS-Mann im Rücken eine Steigung hinaufzustrampeln. Zum anderen muss er, um auch nur eine winzige Überlebenschance zu haben, zwei widersprüchlichen Anforderungen gerecht werden: sich nicht zur Zielscheibe zu machen und sich gleichzeitig außerhalb der Reichweite der feindlichen Schüsse zu begeben. Doch um sich außer Reichweite zu begeben, muss er zunächst eine gewisse Strecke zurücklegen, während der er vollkommen ohne Deckung ist. Kubiš fährt die gegenteilige Strategie von Gabčik, er versucht sein Glück. Doch er überlässt es auch nicht nur dem Zufall: Kubiš beschließt, sich die Tram, deren unglückseliges Auftauchen die Fallschirmspringer befürchteten, seitdem ihre Wahl auf die Kurve der Klein-Holeschowitz-Straße gefallen war, zunutze zu machen. Die Passagiere, die der Straßenbahn bisher entstiegen sind, bilden noch keine Menschenmenge, trotzdem wird er versuchen, sie als Schutzschild zu gebrauchen. Ich schätze, er setzt keine allzu große Hoffnung darauf, der SS-Mann könnte Skrupel haben, auf eine Ansammlung unschuldiger Zivilisten zu schießen, doch zumindest würde es die Sicht des Angreifers vermindern. Dieses Ablenkungsmanöver erscheint mir großartig ausgeklügelt, vor allem, wenn man bedenkt, dass der Mann, von dem der Plan stammt, soeben von der Wucht einer Explosion zu Boden geworfen wurde, ihm Blut in die Augen läuft und er nur drei Sekunden hatte, um ihn auszuhecken. Trotzdem bleibt ein Moment, in dem Kubiš sich auf sein bloßes Glück verlassen muss, der Moment, bis er den Schutzschild der nach Luft ringenden Passagiere erreicht. Nun, der Zufall entscheidet wie so oft, gerecht auszuteilen: Klein umkrampft, noch schockiert von der Explosion, seine Waffe, deren Schlagbolzen, Verschluss oder was weiß ich ebenfalls den Dienst versagt. Wird Kubiš’ Plan also aufgehen? Nein, denn der Schutzwall aus Passagieren baut sich ein wenig zu undurchdringlich vor ihm auf. Einige unter ihnen haben ihre Geistesgegenwart bereits zurückerlangt und scheinen nicht bereit, ein Stück für ihn zur Seite zu treten und ihn durchzulassen – sei es, weil sie Deutsche sind, Sympathisanten, begierig nach einer Heldentat oder Belohnung oder angstzerfressen beim Gedanken daran, man könne sie der Mittäterschaft beschuldigen, oder eben doch noch nicht aus ihrer Erstarrung gelöst und somit nicht imstande, sich auch nur einen Zentimeter vom Fleck zu bewegen. Ich bezweifle, dass einer von ihnen vorhatte, ihn zu stellen, doch womöglich blickten einige bedrohlich drein. Somit befinden wir uns inmitten einer burlesken Szene (anscheinend braucht es in jeder Episode eine davon), in der Kubiš auf dem Fahrrad in die Luft schießt, um sich einen Weg durch die verdutzten Straßenbahnpassagiere zu bahnen. Und es gelingt ihm. Klein ist wie vor den Kopf gestoßen, als er begreift, dass ihm seine Beute soeben entwischt. Da fällt ihm ein, dass er einen Vorgesetzten hat, den er beschützen muss, und er wendet sich wieder Heydrich zu, der weiterhin Schüsse abfeuert. Doch mit einem Mal bricht der Reichsprotektor zusammen. Klein läuft zu ihm hin. Die Stille, die auf die plötzlich verklingenden Schüsse folgt, trifft nicht auf taube Ohren. Gabčik begreift, dass der Zeitpunkt gekommen ist, ebenfalls sein Glück zu versuchen – jetzt oder nie. Er verlässt seinen unsicheren Unterschlupf hinter dem Telegraphenmasten und rennt los. Er ist wieder ganz bei Sinnen und in der Lage nachzudenken: Um Kubiš’ Chancen zu erhöhen, muss er in eine andere Richtung laufen. Mit einem Mal spurtet er den Hügel hinauf. Seine Analyse ist trotzdem nicht ganz fehlerfrei, denn er läuft auf Valčíks Beobachtungsposten zu. Doch Valčík wird momentan noch nicht mit der Operation in Verbindung gebracht. Heydrich gelingt es, sich auf einen Ellbogen aufzustützen. Er brüllt Klein, der ihm zu Hilfe eilt, zu: «Fassen Sie den Schweinehund!» Klein schafft es endlich, seine vermaledeite Pistole durchzuladen, und er nimmt die Verfolgung auf. Er gibt mehrere Schüsse ab, und Gabčik, der mit einem 38er Colt bewaffnet ist, den er glücklicherweise zusätzlich zur Sten in Reserve hatte, feuert zurück. Ich weiß nicht, wie viele Meter Vorsprung er hat. Ich glaube

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