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erkennt einen leicht gebräunten Valčík mit einem feinen braunen Schnäuzer und Kubiš mit einem geschwollenen Auge und deutlichen Blessuren im Gesicht. Die beiden tun ihre Wiedersehensfreude am lautesten kund. Im Überschwang der Gefühle bricht Gabčik abwechselnd in Gelächter und Tränen aus. Natürlich ist er überglücklich, seine Freunde mehr oder weniger wohlbehalten anzutreffen. Doch der Verlauf der Ereignisse ist ihm schrecklich unangenehm. Kaum haben sie die Begrüßung abgeschlossen, als Gabčik auch schon eine bittere Litanei anstimmt, die seine Freunde von nun an öfter zu hören bekommen werden: eine Mischung aus Entschuldigungen und Selbstvorwürfen. Er verflucht die nutzlose Sten, die ihn ausgerechnet in dem Moment im Stich ließ, als Heydrich ihm ausgeliefert war. Es ist alles meine Schuld, sagt er. Er war direkt vor mir, ein toter Mann. Und dann diese scheiß Sten … Es ist einfach zu blöd. Aber er ist verletzt, hast du ihn erwischt, Jan? Ernsthaft? Glaubst du? Jungs, es tut mir furchtbar leid. Alles meine Schuld. Ich hätte ihn mit der Pistole erledigen sollen. Überall hagelte es Schüsse, ich bin gerannt, der andere Riese war mir auf den Fersen … Gabčik macht sich entsetzliche Vorwürfe, und seinen Freunden gelingt es nicht, ihn zu trösten. Nicht so schlimm, Jozef. Ist doch beachtlich, was wir geschafft haben, überleg doch mal – der Henker höchstpersönlich! Ihr habt ihn verletzt! Es stimmt, dass Heydrich verletzt ist, er hat ihn zusammenbrechen sehen, doch es heißt, er käme im Krankenhaus allmählich wieder auf die Beine. In einem Monat wird er wieder auf seinem Posten sein, vielleicht sogar schon eher, dieses Ungeziefer ist einfach unverwüstlich. Zumindest hatten die Nazis bisher immer ein unverschämtes Glück bei Attentaten (ich muss daran denken, wie Hitler 1939 im berüchtigten Münchner Bürgerbräukeller zwischen 20:00 Uhr und 22:00 Uhr seine Rede zum Jahrestag seines Putsches von 1923 halten soll, den Saal aber bereits um 21:07 Uhr verlässt, um seinen Zug nicht zu verpassen, und die Bombe, die um 21:30 Uhr explodiert, acht andere Menschen das Leben kostet). «Anthropoid» ist völlig in die Hose gegangen, so denkt er, und es ist seine Schuld. Jan hat sich nichts vorzuwerfen. Er hat die Bombe geworfen, das Auto zwar verfehlt, Heydrich aber trotzdem verletzt. Was für ein Glück, dass Jan dabei war. Sie konnten ihre Mission zwar nicht erfüllen, doch dank ihm haben sie die Zielperson immerhin überhaupt erwischt. Somit ist jetzt klar, dass Prag nicht Berlin ist und die Deutschen sich nicht wie bei sich zu Hause aufführen können. Nur bestand das Ziel der Operation «Anthropoid» nicht darin, den Deutschen Angst einzujagen. Vielleicht war das Vorhaben einfach zu ehrgeizig: Man hat noch nie einen derart ranghohen Nazi zur Strecke gebracht. Aber nein, was erzähle ich denn da! Wenn diese beschissene Sten nicht gewesen wäre, hätte er mit dem Schwein abgerechnet … Die Sten, die Sten! … Ein echter Haufen Scheiße, sage ich Ihnen.
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Heydrichs Zustand hat sich schlagartig und aus unerklärlichen Gründen verschlechtert. Ein starker Fieberschub schüttelt den Protektor. Himmler ist an sein Krankenlager geeilt. Heydrichs langer Körper liegt ausgestreckt und kraftlos unter einem dünnen, weißen, schweißdurchnässten Laken. Die beiden Männer philosophieren über das Leben und den Tod. Heydrich zitiert einen Satz aus der Oper seines Vaters: «Ja, die Welt ist nur ein Leierkasten, den unser Herrgott selber dreht, und jeder muss nach dem Liede tanzen, das grad’ auf der Walze steht.»
Himmler verlangt von den Ärzten Erklärungen. Die Heilung des Patienten schien ihnen auf einem guten Weg zu sein, doch dann breitete sich auf einmal eine starke Infektion aus. Vermutlich hatte die Bombe Gift enthalten, oder die Pferdehaare aus der Sitzpolsterung des Mercedes waren in die Milz eingedrungen. Es gibt mehrere Hypothesen, und sie können nicht sagen, welche die richtige ist. Doch wenn es sich, wie sie befürchten, um den Beginn einer Blutvergiftung handelt, wird sich die Infektion blitzartig ausbreiten und in den nächsten achtundvierzig Stunden zum Tod führen. Um Heydrich zu retten, bräuchten sie etwas, das nirgendwo im gesamten riesigen Gebiet des Reiches verfügbar ist: Penicillin. Und sie werden es bestimmt nicht von den Engländern bekommen.
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Am 3. Juni empfängt «Libuše» eine Gratulation, die an «Anthropoid» gerichtet ist:
«Eine Nachricht des
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