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HHhH

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Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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Präsidenten. Ich bin hocherfreut, dass es Ihnen gelungen ist, Kontakt aufzunehmen. Ich danke Ihnen aufrichtig. Ich konnte mich von Ihrer festen Entschlossenheit und der Ihrer Freunde überzeugen. Es beweist mir, dass die gesamte Nation geschlossen zusammensteht. Ich kann Ihnen versichern, dass dies Früchte tragen wird. Die Ereignisse in Prag haben hier starken Einfluss und sind von großer Bedeutung für die Anerkennung des Widerstands des tschechischen Volkes.»
    Doch Beneš weiß nicht, dass das Beste noch bevorsteht. Und das Schlimmste.

235
    Anna Maruščáková ist eine hübsche junge Arbeiterin, die sich heute auf der Arbeit krankgemeldet hat. Als nachmittags mit der Post ein Brief für sie eintrifft, öffnet und liest der Fabrikbetreiber diesen ohne jeden Skrupel. Er stammt von einem jungen Mann und enthält folgende Nachricht:
     
    Liebe Ania,
    entschuldige, dass ich Dir so spät schreibe. Ich hoffe, Du verstehst das, Du weißt ja, dass ich viele Sorgen habe. Was ich vorhatte, habe ich getan. Seit dem folgenschweren Tag habe ich in Čabárna übernachtet. Mir geht’s gut, ich komme Dich diese Woche besuchen, und danach werden wir uns nie wieder sehen.
    Milan
     
    Der Fabrikbetreiber mag ein Nazi-Sympathisant sein oder auch nur von jener niederträchtigen Mentalität durchdrungen, die überall und zu jeder Zeit grassiert, in Ländern unter Gewaltherrschaft aber noch stärker um sich greift. Er kommt zu dem Schluss, an der Sache könnte etwas faul sein, und übermittelt den Brief an die zuständige Stelle. Bei der Gestapo gehen die Ermittlungen dermaßen schleppend voran, dass man nach jedem Strohhalm greift. Der Fall wird mit umso größerer Sorgfalt bearbeitet, da die über dreitausend Verhaftungen noch immer zu keinem ernsthaften Ergebnis geführt haben. Schnell wird klar, dass es sich um eine Herzensangelegenheit handelt: Der Verfasser des Briefes ist ein junger verheirateter Mann, der seine außereheliche Beziehung anscheinend beenden wollte. Die Einzelheiten der Geschichte sind nicht ganz eindeutig; einige Sätze des Briefes lassen mehrere Interpretationen zu: Vielleicht wollte der junge Mann sogar ein vorgebliches Engagement in der Widerstandsbewegung andeuten, um seine Geliebte zu beeindrucken, vielleicht wollte er auch einfach nur eine geheimnisvolle Aura heraufbeschwören, um sich für den Bruch mit ihr nicht rechtfertigen zu müssen. Jedenfalls hat er weder im engen noch im weitesten Sinne etwas mit Gabčik, Kubiš und ihren Freunden zu tun. Sie haben noch nie von ihm gehört und er noch nie von ihnen. Doch die Gestapo braucht um jeden Preis eine Spur und beschließt, dieser hier nachzugehen. Sie führt nach Lidice.
    Lidice ist ein friedliches hübsches kleines Dorf, aus dem zwei Tschechen stammen, die der Royal Air Force beigetreten sind. Das ist die einzige Spur, die die Deutschen finden können. Selbst ihnen ist klar, dass es ganz offensichtlich die falsche Fährte ist. Doch die nationalsozialistische Logik ist unergründlich. Oder vielmehr ganz einfach: Sie schäumen vor Wut und wollen Blut fließen sehen.
    Eingehend betrachte ich Annas Foto. Die arme junge Frau posiert wie für ein Harcourt-Porträt, dabei handelt es sich lediglich um ein Passfoto in ihrem Arbeitsheft. Je genauer ich hinschaue, desto hübscher finde ich sie. Sie besitzt eine gewisse Ähnlichkeit mit Natacha; eine hohe Stirn, einen schön geschwungenen Mund und denselben sanften, liebevollen Ausdruck in den Augen, der von der Ahnung des enttäuschten Liebesglücks leicht überschattet wird.

236
    «Bitte, meine Herren …» Frank und Daluege schrecken auf. Auf dem Gang herrscht Totenstille, und ich weiß nicht, wie lang die beiden Männer dort schon auf und ab gehen. Mit angehaltenem Atem betreten sie das Krankenzimmer. Die Stille wird noch überwältigender. Lina ist bereits vor Ort, ein ehrfürchtiger Ausdruck auf dem fahlen Gesicht. Auf Zehenspitzen nähern sie sich dem Bett, als hätten sie Angst, ein Raubtier oder eine Schlange aufzuwecken. Doch Heydrichs Gesicht bleibt unbewegt. Im Krankenhausregister werden Todeszeitpunkt und -ursache vermerkt: 4:30 Uhr, Infektion infolge einer Verletzung.

237
    «Da die Versuchung nicht nur Diebe, sondern auch Attentäter mache, seien heroische Gesten, wie im offenen, ungepanzerten Wagen zu fahren oder in Prag ohne Sicherung zu Fuß durch die Straßen zu gehen, Blödsinn, der der Nation nichts nütze. Männer vom politischen Format Heydrichs müssten sich darüber im Klaren sein, dass

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