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ihnen wie einem Wild aufgelauert werde, dass unzählige Leute den Gedanken haben, wie sie ihn umbringen könnten …»
Himmler wohnt gerade einem Spektakel bei, das er bis kurz vor Kriegsende immer häufiger geboten bekommen wird: Hitler, der sich vergeblich bemüht, seinen Zorn im Zaum zu halten, und dabei einen schulmeisterlichen Ton anschlägt, als erteile er der gesamten Welt Nachhilfeunterricht. Himmler stimmt ihm innerlich zu. Zum einen pflegt er seinem Führer nicht zu widersprechen, zum anderen ist er ebenso wütend auf die Tschechen und auf Heydrich. Natürlich ist Himmler der Ehrgeiz seiner rechten Hand nie ganz geheuer gewesen, doch ohne ihn und ohne die durchschlagende Kompetenz dieser erbarmungslosen Terror- und Todesmaschine fühlt er sich verletzlicher. Mit Heydrich verliert er einen potenziellen Rivalen, aber vor allem seine höchste Trumpfkarte. Heydrich war sein Kreuzbube. Und man kennt ja die Geschichte: Als Lancelot das Königreich Britannien verlässt, ist das der Anfang vom Ende.
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Zum dritten Mal wird Heydrich feierlich zum Hradschin gefahren, diesmal jedoch in einem Sarg. Die Fahrt wurde wie eine Wagneroper in Szene gesetzt. Der Sarg ist auf einem Kanonenwagen platziert und mit einer riesigen Hakenkreuzfahne umhüllt. Ein Fackelzug bricht vom Krankenhaus auf. Eine endlose Schlange von Halbkettenfahrzeugen kriecht durch die Nacht. Die mitfahrenden Männer der Waffen-SS schwenken Taschenlampen, um die Straße zu erleuchten. Die Soldaten am Straßenrand stehen stramm und salutieren dem Konvoi über die ganze Wegstrecke. Keine Zivilperson darf der Prozession beiwohnen, und um die Wahrheit zu sagen, traut sich auch niemand vor die Tür. Mit Schutzhelm und im Kampfanzug nehmen Frank, Daluege, Böhme und Nebe an einer Ehrengarde teil, die den Sarg zu Fuß begleitet. Das Geleit setzt sich am 4. Juni um zehn Uhr in Bewegung und bringt Heydrich endlich zu seinem Ziel. Zum letzten Mal durchquert er die kunstvoll geschmiedeten Schlosstore und die Statue mit dem Dolch und passiert die Schutzwälle der Burg der Könige von Böhmen.
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Zu gern verbrächte ich die Tage gemeinsam mit den Fallschirmspringern in der Krypta, um ihre Diskussionen festzuhalten und zu beschreiben, wie sie ihr tägliches Leben in der feuchten Kälte organisieren, was sie essen, lesen, was von den Gerüchten aus der Stadt zu ihnen durchdringt, wie sie sich mit ihren Freundinnen beschäftigen, wenn diese zu Besuch kommen, welche Projekte sie haben, welche Zweifel, Ängste, Hoffnungen, wovon sie träumen, was sie denken. Doch es ist nicht möglich, ich besitze darüber so gut wie keine Informationen. Ich weiß nicht einmal, wie sie reagierten, als man ihnen Heydrichs Tod verkündete, dabei hätte dieser Moment einen der Stützpfeiler meines Buches bilden können. Ich weiß, dass die Fallschirmspringer in der Krypta so froren, dass sie abends ihre Matratzen in der Galerie oberhalb des Kirchenschiffes auslegten, weil es dort ein wenig milder war. Eine ziemlich magere Ausbeute. Immerhin weiß ich, dass Valčík Fieber hatte (sicherlich infolge seiner Verletzung) und dass Kubiš zu denen zählte, die anstatt in der Krypta in der Kirche zu schlafen versuchten. Na ja, zumindest weiß ich, dass er es einmal versuchte.
Dafür besitze ich eine kolossale Sammlung über Heydrichs Staatsbegräbnis, seine Überführung von der Prager Burg zur Trauerfeier in Berlin und die dazwischenliegende Zugfahrt. Mehrere Dutzend Fotos und mehrere Dutzend Seiten voller Reden zu jener großen Persönlichkeit. Doch das Leben ist nicht, wie es sein soll, denn diese Sachen sind mir relativ egal. Die düstere Trauerrede Dalueges werde ich nicht wiedergeben (die zugegebenermaßen pikant ist, da sich die Männer gegenseitig verabscheuten), genauso wenig wie Himmlers endlose apologetische Rede für seinen Untergebenen. Stattdessen halte ich mich an Hitler mit seinem Hang zur Kürze:
«Ich habe diesem Toten nur noch wenige Worte zu widmen. Er war einer der besten Nationalsozialisten, einer der stärksten Verteidiger des deutschen Reichsgedankens, einer der größten Gegner aller Feinde dieses Reiches. Als Führer der Partei und als Führer des deutschen Reiches gebe ich Dir, mein lieber Kamerad Heydrich, nach dem Parteigenossen Todt als zweitem Deutschen die höchste Auszeichnung, die ich zu verleihen habe: die oberste Stufe des Deutschen Ordens.»
Meine Geschichte ist durchlöchert wie ein Roman, doch in einem gewöhnlichen Roman entscheidet der Romanautor
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