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Und solange Hitler nicht von ihrem Tod unterrichtet wurde, werden die Vergeltungsmaßnahmen kein Ende finden. Eingesperrt in der Krypta, lassen sie sich diese Überlegungen durch ihre armen Köpfe gehen, denen die nervöse Anspannung sowieso schon zusetzt, und gelangen zu der einzig sinnvollen Schlussfolgerung: Sie müssen sich ergeben. In ihrer entflammten Phantasie entsteht ein wahnwitziges Szenario: Sie werden darum bitten, bei Emanuel Moravec, dem tschechischen Laval, vorsprechen zu dürfen. Sobald sie bis zu ihm vorgedrungen sind, übergeben sie ihm einen Brief, in dem sie sich selbst des Attentats bezichtigen, dann erschießen sie erst ihn und töten schließlich sich selbst in seinem Büro. Es bedarf aller Geduld, Freundschaft, Überredungskunst und Diplomatie von Leutnant Opálka, Valčík und ihren Kameraden, mit denen sie in der Krypta untergetaucht sind, um sie von ihrem unsinnigen Plan abzubringen. Zunächst ist er technisch nicht umsetzbar. Außerdem ist nicht gesagt, dass die Deutschen ihnen auch tatsächlich glauben werden. Und selbst wenn es ihnen gelingen sollte, ihr Vorhaben durchzuführen, bleibt die Tatsache, dass der Terror und die Massaker bereits vor Heydrichs Tod begonnen hatten und auch dann weitergehen werden, wenn sie selbst tot sind. Nichts würde sich ändern. Es wäre vollkommen nutzlos, sich selbst zu opfern. Gabčik und Kubiš weinen vor Wut und Machtlosigkeit. Doch sie lassen sich schließlich überreden. Trotzdem sind sie noch immer nicht überzeugt, dass Heydrichs Tod irgendeinen Nutzen gebracht hat.
Vielleicht schreibe ich dieses Buch, um sie begreifen zu lassen, dass sie sich täuschen.
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«Polemik aus dem tschechischen Internet
Eine Webseite, die zu dem Zweck erstellt wurde, jungen Tschechen die Geschichte des Dorfes Lidice näherzubringen, das die Nazis im Juni 1942 vollständig zerstörten, bietet ein interaktives Spiel, in dem ‹Lidice in kürzester Zeit niedergebrannt werden soll›.»
Libération , 6. September 2006
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Die Gestapo tritt dermaßen auf der Stelle, dass man sich fragen könnte, ob sie überhaupt noch nach Heydrichs Attentätern sucht. Um die eigene Nachlässigkeit zu vertuschen, braucht sie einen Sündenbock, und man glaubt, ihn gefunden zu haben. Es handelt sich um einen Beamten des Arbeitsministeriums, der am Abend des 27. Mai die Abfahrt eines Zuges voller tschechischer Arbeiter Richtung Berlin autorisiert hat. Da die drei Fallschirmspringer unauffindbar bleiben, wird diese Spur für brauchbar befunden. Die Gestapo hat also «ermittelt», dass die drei Attentäter (ja, die Ermittlungen sind immerhin so weit fortgeschritten, dass man mittlerweile von drei Attentätern ausgeht) im Zug waren. Die Männer aus dem Peček-Palais können sogar mit erstaunlichen Einzelheiten aufwarten: Die flüchtigen Personen sollen sich während der Fahrt unter den Sitzbänken versteckt gehalten und sich einen kurzen Halt in Dresden zunutze gemacht haben, um den Zug zu verlassen und im Umland zu verschwinden. Nun gut, die Annahme, die Terroristen könnten das Land verlassen haben, um sich ausgerechnet in Deutschland zu verstecken, erscheint leicht gewagt. Doch es braucht schon mehr, um die Gestapo einen Schritt zurückweichen zu lassen. Allerdings lässt der Beamte sie nicht so einfach gewähren und überrumpelt sie mit seiner Verteidigung: Ja, er hat die Abfahrt des Zuges tatsächlich autorisiert, doch nur auf die ausdrückliche Anweisung des Luftfahrtministeriums in Berlin. Sprich: Göring. Der gewissenhafte Beamte hat zudem eine Kopie dieser Befugnis aufbewahrt, die den Stempel der Prager Polizeibehörden trägt. Sollte tatsächlich ein Fehler gemacht worden sein, müsse die Gestapo ihren Teil der Verantwortung anerkennen. Im Peček-Palais beschließt man, nicht auf dieser Geschichte zu beharren.
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Als alter Hase und erklärter Menschenkenner kommt Kommissar Pannwitz die entscheidende Idee, um die Situation zu entschärfen. Dabei geht er von folgender Überlegung aus: Die Atmosphäre des Terrors, die seit dem 27. Mai heraufbeschworen wurde, ist kontraproduktiv. Er hat nichts gegen Terror an sich, nur leider hat die Sache einen Haken: Die Schreckensherrschaft schreckt jeden noch so eifrigen Denunzianten nachhaltig ab. Mehr als zwei Wochen nach dem Attentat wird niemand mehr das Risiko eingehen, der Gestapo gegenüber zuzugeben, dass er über Informationen verfügt, die er bislang zurückgehalten hat. Daher muss jedem, der von sich aus bereit ist, Angaben über
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