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die Affäre zu machen, eine Amnestie in Aussicht gestellt und auch zuerkannt werden, selbst wenn die Enthüllungen nur marginal sind.
Frank lässt sich überzeugen. Er verordnet einen Gnadenerlass für jeden, der innerhalb der nächsten fünf Tage Informationen liefert, die zur Ergreifung der Attentäter führen. Nach dieser Frist wird er Hitlers und Himmlers blutrünstige Rachegelüste nicht mehr im Zaum halten können.
Als Frau Moravec davon erfährt, begreift sie sofort die Bedeutung des Ultimatums: Die Deutschen setzen alles auf eine Karte. Wenn in den nächsten fünf Tagen niemand die jungen Männer anschwärzt, werden sie vor Denunzianten sicher sein und ihre Überlebenschancen beträchtlich steigen. Sobald der Zeitraum der Amnestie verstrichen ist, wird es niemand mehr wagen, zur Gestapo zu gehen. Wir schreiben den 13. Juni 1942. Noch am selben Tag steht ein unbekannter Mann vor Frau Moravecs Tür, trifft sie aber nicht zu Hause an. Beim Hausmeister erkundigt er sich, ob sie zufällig eine Aktentasche für ihn hinterlegt habe. Er ist Tscheche, nennt aber nicht das Codewort «Jan». Der Hausmeister sagt, davon wisse er nichts. Der Unbekannte geht seiner Wege. Karel Čurda wäre um ein Haar wieder aufgetaucht.
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Tante Moravec hat ihre Familie für einige Tage aufs Land geschickt. Sie selbst bleibt in Prag, weil sie zu viel zu tun hat. Sie wäscht die Wäsche, bügelt, macht Erledigungen, läuft hin und her. Um sich nicht verdächtig zu machen, lässt sie sich von der Frau des Hausmeisters helfen. Es wäre nicht ratsam, dass man sie ständig mit vollbeladenen Armen herumlaufen sieht. Andererseits muss der Ort, an dem sich die Fallschirmspringer versteckt halten, geheim bleiben. Daher treffen sich die beiden Frauen am Karlsplatz, wo ihr die Hausmeistersfrau inmitten der Menschenmenge und Blumenbeete die Beutel mit Proviant übergibt. Damit geht Tante Moravec die Straße Resslova hinunter, betritt die Kirche und verschwindet. Ein anderes Mal besteigen sie die gleiche Tram, die Frau des Hausmeisters steigt jedoch zwei oder drei Stationen vor ihrem Ziel aus und lässt die Taschen zurück, die Tante Moravec unauffällig aufsammelt. In der Krypta verteilt sie ofenwarme Kuchen, Zigaretten, Spiritus, um einen alten Kocher wieder zum Laufen zu bringen, und Neuigkeiten aus der Außenwelt. Die jungen Männer sind wegen der Kälte gesundheitlich alle ein wenig angeschlagen, aber die Stimmung ist besser. Heydrichs Tod lässt sie Lidice zwar nicht vergessen, dafür wird ihnen die Tragweite dessen, was sie geschafft haben, allmählich bewusst. Valčík empfängt die Tante im Morgenmantel. Er ist etwas blass im Gesicht, hat sich aber einen feinen Bart wachsen lassen, mit dem er wahrlich vornehm aussieht. Er erkundigt sich, wie es seinem Hund Moula geht. Moula geht es gut, die Hausmeisterfamilie hat ihn bei einer Familie untergebracht, die einen großen Garten hat. Kubiš’ Gesicht ist abgeschwollen, und selbst Gabčik hat wieder ein wenig von seinem fröhlichen Gemüt zurückgewonnen. Die kleine Gemeinschaft aus sieben Männern hat sich arrangiert: Sie haben ein Herrenhemd zu einem Filter umfunktioniert, weil sie sich gern mal wieder einen Kaffee zubereiten würden. Die Tante verspricht, dass sie versuchen wird, welchen für sie zu besorgen. Währenddessen erarbeitet Zelenka gemeinsam mit der Widerstandsbewegung ausgesprochen improvisierte Pläne zum heimlichen Abzug der Agenten aus dem Einsatzgebiet. «Anthropoid» galt als Selbstmordmission, niemand hätte in Erwägung gezogen, dass sich die Frage einer Rückkehr überhaupt stellen würde. Der erste Schritt besteht darin, alle irgendwo auf dem Land unterzubringen. Doch die Gestapo ist in Habtachtstellung, überall in der Stadt herrscht Alarmbereitschaft, es gilt abzuwarten. Es naht der Namenstag des heiligen Adolf, und um diesen zu begehen (an dieser Stelle ist wohl die Erklärung angebracht, dass Leutnant Opálka mit Vornamen Adolf heißt), hofft Tante Moravec, irgendwo Schnitzel auftreiben zu können. Außerdem würde sie gern eine Leberknödelsuppe kochen. Mittlerweile nennen die jungen Männer sie nicht mehr «Tante», sondern «Mama». Sieben überaus guttrainierte Männer, die zur Tatenlosigkeit verdammt sind und wie verletzliche Kinder in dem düsteren Gewölbe ausharren, vertrauen voll und ganz auf die kleine mütterliche Frau. «Wir müssen bis zum 18. durchhalten», sagt sie ein weiteres Mal zu sich selbst. Es ist der 16.
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Karel Čurda steht auf dem
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