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würdig erweisen.
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Im Gegenzug für die Übergabe des Sudetenlandes an Deutschland wurde der Tschechoslowakei in München von Frankreich und England die Wahrung ihrer neuen Grenzen zugesichert. Doch mit der Unabhängigkeit der Slowakei hat sich die Ausgangssituation verändert. Die Verpflichtung wurde gegenüber der Tschechoslowakei getroffen, nicht mit Tschechien allein, lautet die Antwort der englischen Diplomaten an die Kollegen aus Prag, die sie um Hilfe gebeten hatten. Wir befinden uns am Vortag der deutschen Invasion. Die Feigheit Frankreichs und Englands kann sich diesmal in aller Legalität zeigen.
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Am 14. März 1939 fährt um zweiundzwanzig Uhr vierzig ein Zug aus Prag auf dem Anhalter Bahnhof in Berlin ein. Ihm entsteigt ein schwarzgewandeter alter Mann mit hängender Lippe, beinahe kahlem Kopf und trübem Blick. Präsident Hácha, der Beneš nach dem Münchener Übereinkommen abgelöst hat, reist an, um Hitler zu beschwören, sein Land zu verschonen. Wegen seiner Herzschwäche hatte der Präsident nicht fliegen können. Er wird von seiner Tochter und seinem Außenminister begleitet.
Hácha fürchtet sich vor dem, was ihm hier bevorsteht. Er weiß, dass die deutschen Truppen die tschechische Grenze bereits überschritten haben und sich um Böhmen zusammenziehen. Dass eine Invasion bevorsteht, ist offenkundig, und Hácha hat die Reise nur deshalb auf sich genommen, weil er hofft, eine halbwegs ehrbare Übergabe aushandeln zu können. Ich nehme an, er wäre mehr als bereit gewesen, ähnliche Konditionen zu akzeptieren, wie man sie der Slowakei auferlegt hatte: den Status einer unabhängigen Nation zu erhalten, aber unter deutscher Aufsicht zu stehen. Er befürchtet nicht mehr und nicht weniger als die völlige Auflösung seines Landes.
Als er aus dem Zug steigt und den Bahnsteig betritt, ist er daher restlos erstaunt, dort von einer Ehrengarde empfangen zu werden. Der deutsche Außenminister Ribbentrop nimmt Hácha höchstpersönlich in Empfang und überreicht seiner Tochter einen prächtigen Blumenstrauß. Dem tschechischen Präsidenten, der er ja immer noch ist, werden alle einem Staatsoberhaupt gebührenden offiziellen Ehren zuteil. Hácha atmet etwas freier. Die Deutschen haben in dem repräsentativen Hotel Adlon die beste Suite für ihre Gäste reserviert. Auf ihrem Bett findet seine Tochter eine Pralinenschachtel vor – ein Geschenk des Führers höchstpersönlich.
Der tschechische Präsident wird zur Reichskanzlei gefahren, wo eine SS-Wache Spalier bildet. Hácha schöpft neuen Mut.
Doch als er das Büro des Reichskanzlers betritt, gerät seine Zuversicht ins Wanken. An Hitlers Seite bemerkt er Göring und Keitel, und beim Anblick der Oberbefehlshaber der deutschen Armee schwant ihm nichts Gutes. Auch Hitlers Gesichtsausdruck entspricht nicht den Erwartungen, die er angesichts des Empfangs hegte, den man ihm bis zu diesem Zeitpunkt hatte zuteilwerden lassen. Das bisschen Selbstsicherheit, das er aufbringen konnte, ist mit einem Schlag verflogen, und in diesem Moment verstrickt sich Emil Hácha unwiderruflich in die düstersten Machenschaften der Geschichte.
Er sagt dem Dolmetscher, er könne dem Führer versichern, dass er sich nie mit Politik befasst habe. Er habe die Gründer der tschechoslowakischen Republik, Masaryk und Beneš, nie persönlich getroffen und sie im Übrigen auch nicht geschätzt. Von Anfang an habe er eine derart tiefe Abneigung gegen das Beneš-Regime empfunden, dass er sich gleich nach dem Münchener Abkommen die Frage gestellt habe, ob es für die Tschechoslowakei überhaupt von Vorteil wäre, ein selbständiger Staat zu sein. Er sei überzeugt, dass das Schicksal der Tschechoslowakei in den Händen des Führers läge, und er sei überzeugt, dass es dort gut aufgehoben sei. Er glaube, dass gerade der Führer ihn verstände, wenn er der Ansicht sei, dass die Tschechoslowakei ein Recht auf ein nationales Leben habe. Der Tschechoslowakei würde vorgeworfen, dass es dort noch viele Anhänger des Beneš-Systems gäbe, doch seine Regierung trachte mit allen Mitteln, sie mundtot zu machen.
Hitler ergreift das Wort, woraufhin Hácha – gemäß den Aussagen des Dolmetschers – zur Salzsäule erstarrt.
Heute Morgen sei er nach langem Überlegen zu der Überzeugung gekommen, dass diese Reise trotz des hohen Alters des Staatspräsidenten für sein Land von großem Nutzen sein könnte, da es nur noch Stunden seien, bis Deutschland eingreife. Er stünde keiner Nation mit
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