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Feindschaft gegenüber. Der Restbestand der Tschechoslowakei sei überhaupt nur seiner loyalen Haltung zuzuschreiben. Trotzdem habe sich die Einstellung der Tschechoslowakei nach Beneš’ Abgang nicht geändert. Er habe sie doch gewarnt. Er habe keinen Zweifel gelassen, dass er diesen Staat rücksichtslos zerschlagen würde, wenn die Provokationen kein Ende fänden. Und sie haben nie ein Ende gefunden. Jetzt seien die Würfel gefallen. Er habe den Befehl zum Einmarsch der deutschen Truppen und der Eingliederung der Tschechoslowakei ins Deutsche Reich gegeben.
«Hácha und sein Außenminister», schreibt der Übersetzer, «saßen wie versteinert in ihren Sesseln. Nur an ihren Augen konnte man erkennen, dass es sich um lebende Menschen handelte.»
Die deutsche Armee, fuhr Hitler fort, rücke morgen um sechs Uhr von allen Seiten in die Tschechei ein, und die deutsche Luftwaffe werde die tschechischen Flughäfen besetzen. Es gebe zwei Möglichkeiten.
Die erste sei die, dass sich das Einrücken der deutschen Truppen zu einem Kampf entwickelt. Dann werde dieser Widerstand gewaltsam gebrochen.
Die andere sei die, dass sich der Einmarsch der deutschen Truppen in friedlicher Form abspielt, dann würde er der Tschechoslowakei problemlos ein großzügiges Eigenleben, eine Autonomie und eine gewisse nationale Freiheit geben.
Er täte dies alles nicht aus Hass, sondern um Deutschland zu schützen. Doch wenn die Tschechoslowakei im Herbst vorigen Jahres in München nicht nachgegeben hätte, so wäre das tschechische Volk ausgerottet worden. Keiner hätte ihn daran gehindert. Käme es morgen zum Kampf, dann werde die tschechische Armee in zwei Tagen nicht mehr existieren. Es würden natürlich auch Deutsche fallen, und dieses werde einen Hass erzeugen, der ihn aus Selbsterhaltungstrieb zwingen werde, keine Autonomie mehr zu gewähren.
Die Welt verziehe keine Miene. Er habe Mitleid mit dem tschechischen Volk, wenn er die ausländische Presse läse. Sie mache auf ihn den Eindruck, der sich in einem Sprichwort zusammenfassen lasse, dem berühmten Zitat aus «Othello»: «Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.»
Es mag zwar ein Sprichwort sein, doch ich verstehe nicht, warum Hitler es an dieser Stelle bemühte und was er damit sagen wollte … Wer ist der Mohr? Die Tschechoslowakei? Aber inwiefern hat sie ihre Schuldigkeit getan? Und kann sie wirklich gehen?
Erste Hypothese: Aus deutscher Sicht war die Tschechoslowakei den westlichen Demokratien durch ihre bloße Existenz dienlich, indem sie Deutschland nach 1918 geschwächt hatte. Nun, da sie ihre Mission erfüllt hat, ist ihre Existenz nicht länger vonnöten. Doch diese Sichtweise wäre nicht völlig stimmig: Mit der Schaffung der Tschechoslowakei wurde die Zerschlagung Österreich-Ungarns besiegelt, nicht die Deutschlands. Wenn die Aufgabe der Tschechoslowakei darüber hinaus darin bestanden hätte, Deutschland zu schwächen, erscheint das Jahr 1939 als wenig geeigneter Augenblick, um sie fortzuschicken, ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, in dem Deutschland seine Macht wiederherstellt, Österreich annektiert und sich immer bedrohlicher gibt.
Zweite Hypothese: Der Mohr steht stellvertretend für die westlichen Demokratien, die sich in München um Schadensbegrenzung bemühten (der Mohr hat seine Schuldigkeit getan), sich fortan aber nicht mehr einmischen wollen (der Mohr kann gehen) … Wobei eigentlich alles darauf hindeutet, dass es sich aus Hitlers Mund bei dem Mohren nur um das Opfer handeln kann, um den Ausländer, der benutzt wird und stellvertretend für die Tschechoslowakei steht.
Dritte Hypothese: Hitler weiß selbst nicht so recht, was er sagen wollte; er konnte nur einfach dem Drang nicht widerstehen, ein Zitat einzubringen, und sein begrenztes literarisches Wissen erlaubte ihm nicht, ein passendes zu finden. In diesem Fall hätte er sich mit einem «Vae victis!» begnügen können, das der Situation angemessener gewesen wäre. Schlicht, aber prägnant. Alternativ hätte er auch bedeutsam schweigen können, denn wie habe ich neulich noch so treffend gehört: «Das Verbrechen drückt sich auch ohne Worte mit einer beeindruckenden Eloquenz aus.»
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Hácha ließ sich vom Führer vollständig in die Knie zwingen. Er erklärte, die Situation sei für ihn klar und jeder Widerstand sinnlos. Doch es ist bereits zwei Uhr morgens – ihm bleiben also nur noch vier Stunden, um dafür Sorge zu tragen, dass das tschechische Volk keinen Widerstand
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