Hi, Society
einen ganz schön herausfordern. Ich spreche da schließlich aus Erfahrung. Wenn ich an meinen allerersten Patienten zurückdenke, Tristan, fünf Jahre, Rhotazismus und hartnäckiger Mundaufmach-Verweigerer, steht mir heute noch der nackte Angstschweiß auf der Stirn. Aber ich bin mir ganz sicher, wenn sie bald ein wenig mehr Routine hat und wir uns erstmal besser kennen, dann werden wir uns bestimmt super verstehen. So wie mit Isabel, Eriks Sekretärin. Sie ist eine richtig gute Freundin geworden. Wir treffen uns hin und wieder auf einen Cocktail und sie erzählt mir Klatsch und Tratsch aus dem Büro. Vor Jahren, als ich diesen lustigen Schnappschuss hatte von dieser doofen Michelle, da hat sie mir die Codes für das Computersystem gegeben, damit ich den Bildschirmschoner …
»Elli!«, ertönt da auch schon ihre fröhliche Stimme hinter meinem Rücken und sehen Sie nur, auch Madame Empfang sieht auf einmal ganz erleichtert aus.
Einen kurzen Ratsch mit Isabel später stehe ich in Eriks Büro und warte, weil er nämlich noch immer in einer wichtigen Besprechung ist. Was mir aber gar nichts ausmacht. Ehrlicherweise bin ich sogar ziemlich erleichtert darüber, weil ich auf diese Weise nämlich ausreichend Zeit habe, mich zu sammeln und meinen neuen hinreißenden Horny Hottie-Stimmklang zu üben, welcher derzeit noch eher auf ein schwerwiegendes Stimmbandödem schließen lässt denn auf ein stimmliches Verführungsinstrument.
»Monsieur. Monsieur!«, hauche ich so verführerisch wie irgend möglich und verbiege mich ein wenig, während ich die Schlagzeile dieser Wirtschaftszeitung auf seinem Schreibtisch überfliege. ›So wird Schwarzgeld weiß! Luxusinvestments zur Verschleierung von Vermögenswerten.‹ Also ehrlich gesagt fühle ich mich, als hätte ich einen Bandscheibenvorfall oder eine künstliche Hüfte oder so.
»Monsieur!«, versuche ich mich eben erneut. »Je suis très desolée!«
Meine Französischlehrerin würde sich im Grab umdrehen, wenn sie mich hören könnte. »Sie werden mehr Vokabeln brauchen, um die Prüfung zu schaffen, als Chaussures, Couture & Café au lait! Lernen Sie nicht für mich, lernen Sie fürs Leben!« All die Jahre habe ich mir vorgestellt, dass sie endlich mal schwanger wird oder in Frührente geht oder einen Millionär heiratet und nach Monaco wegzieht, doch schlagartig erfüllt mich eine Welle der Dankbarkeit. Ich meine, wie recht sie doch hatte. Auch wenn sie mit Leben wohl weniger mein Liebesleben gemeint hat und mit Französisch wohl mehr die L’ordre des mots als Fellatio, denke ich, während ich meinen Burberry-Trench zurechtrücke und mir so lasziv wie irgend möglich über die Lippen schlecke.
»Mist, jetzt habe ich dieses Plump-Lip-Gloss im Mund. Igitt, schmeckt das eklig und das brennt!« Ich versuche mit dem Taschentuch die Reste von meiner Zunge zu tupfen, doch das Brennen wird immer nur noch schlimmer. »Mann, das tut richtig weh!« Dafür sehen meine Lippen aber jetzt auch wirklich spitze aus. Sie sind richtig schön prall und rot. Ich stecke einen Kaugummi in den Mund und hoffe auf das Beste. Bestimmt ist das bloß der Beweis, dass es wirkt. Wenn nämlich stimmt, was auf dem Beipackzettel steht, dann wird dadurch die Collagen-Bildung dauerhaft angeregt, was bedeutet, dass ich bald für immer so richtig tolle Lana-del-Rey-Lippen haben werde. Aber an diesem fiesen Brennen müssen die echt noch ein wenig arbeiten. Wo waren wir stehen geblieben? Genau, den Lippen. Ich meine, das kann sich bestimmt auch nur förderlich auf meine berufliche Laufbahn auswirken. Mensch, daran habe ich noch gar nicht gedacht, ich könnte Lippenmodel werden oder so.
Also das muss gleich auf meine Liste für alternative Karriereentwicklungen. Ich fische mein Notizbuch aus der Tasche und beginne zu schreiben, als ich auf einmal diese Vision habe, von mir und Vera Russwurm. Nicht, was Sie schon wieder denken! Wie ich bei ihr auf der Couch sitze und sie sagt, ich freue mich, dass heute Elli Weitzman bei uns zu Gast ist. Eine Frau, deren Leben sich mit diesem Lipgloss hier völlig verändert hat. Und dann werden sie ihn in Großaufnahme zeigen, man wird das durchsichtige Röhrchen sehen und den schnörkeligen silbernen Schriftzug. Obwohl, das würde, glaube ich, gar nicht so gut aussehen, weil er sich schon ein wenig abgenutzt hat. Naja, vielleicht kaufe ich einfach einen neuen. Ich könnte natürlich auch erzählen, dass er mein Talisman ist und ich ihn auf meinem Jet-Set-Leben immer bei
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