Hi, Society
bestellen oder mich, so lange ich noch kann, lieber auf und davon machen soll.
Keine Ahnung, wie ich überhaupt auf den Blödsinn gekommen bin. Okay, vielleicht kann ich Stimmen gut wiedererkennen, es ist ja quasi eine Art Berufsrisiko und ja, es wäre gut möglich, dass ich jedem meiner Patienten bloß nach Gehör die richtige Stimme zuweisen kann. Aber wir waren hier schließlich nicht bei ›Wetten Dass‹! Und selbst wenn dieser Melnhof es gewesen war, damals mit der Drohung auf Maries Telefon, was bewies das schon. Sie hatten gemeinsam den Opernball eröffnet, sie waren Freunde. Vielleicht hatte Marie im Übermut etwas Unüberlegtes gesagt, er war verärgert und hatte seinem Ärger per Telefon Luft gemacht und zufällig war ich dran. Ich meine für unüberlegtes Handeln sind Politiker ja mindestens ebenso bekannt wie für die falsche Frauenwahl, was schon mal dazu führen kann, dass man sich schneller in Großburgwedel wiederfindet als man Schloss Bellevue sagen kann.
Ich greife nach der kleinen Milchkanne und möchte mir eben einen Schluck nachgießen, als mein Blick erneut auf die Innenseite meines Handgelenks fällt. Da ist es: das Symbol. Kreisrund, kunstvoll, pechschwarz und ebenso schwer loszuwerden, wie die damit verbundenen Erinnerungen, die seit jenem Abend wiederkehrend wie aus dem Nichts in mir auftauchen. Sie sind schwarz-weiß und sie laufen wie ein Kurzfilm immer und immer wieder in meinem Kopf ab. Es beginnt stets auf dieselbe Weise, wie in einem dieser Alpträume. Wie ich vor der schweren Eichentür dieser riesigen Belle-Epoque-Villa stehe und meine Parole sage. Der große dunkelhaarige Typ im Frack, mit der schwarzen Maske im Gesicht, der mich die breite Holztreppe hinaufbegleitet, den langen Gang entlang, zahllose Flügeltüren hindurch, bis wir in diesen kleinen dunklen Raum gelangen mit dem kunstvollen Sternparkett und den schweren Samtvorhängen. Die elfengleiche Schönheit, ihr Gesicht ebenfalls hinter einer schwarzen Maske verborgen, die mit klebriger Farbe das Erkennungssymbol auf meine Haut zeichnet. Überall Dunkelheit. Notdürftig ausgeleuchtet durch das Licht der Kerzen auf den antiken Goldlüstern. Dumpfe Sonatenklänge von Chopin vermischt mit dem Geruch von Moschus, Vanille, Zimt und Sandelholz und dem Prickeln des Champagners in sich türmenden Kristallflöten. »Intime Details bedeuten Bonus. Er ist der Boss!«, höre ich ihre Stimme, während ich unsicher in das mir zugewiesene Spitzenkleid schlüpfe und meine Augenmaske aufsetze. Sie zeigt dabei auf einen gutaussehenden Mann, mit dunklen Locken und einer winzigen Narbe im Gesicht, vermutlich ein Schmiss, der eben mit zwei der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe, hinter einem der schweren Samtvorhänge verschwindet. Mittlerweile ist das Haus voll. Alle haben schwarze Augenmasken, auch der Pianist und die Serviererinnen, die abgesehen von einer winzigen cremefarbenen Schürze aus Seidenduchesse völlig nackt sind, und alle tragen sie das gleiche pechschwarze Symbol wie ich.
Ob die es auch nicht runterkriegen? Ich rubble beherzt über mein Handgelenk. Ob ich es vielleicht mal mit Nagellackentferner versuchen soll? Ich hoffe bloß, dass ich es wegkriege, bis Erik wieder da ist.
Du meine Güte! Beim bloßen Gedanken daran zieht sich schon alles in mir zusammen. Ich, Elli Weitzman, Ehefrau, ehemalige Pfadfinderin und Jungschar-Leiterin, Kindertherapeutin war auf einer …
Ich wage es kaum, das Wort zu denken, geschweige denn es auszusprechen.
Nein, wirklich nicht!
Na vielleicht buchstabieren: O-R-G-I-E.
Aber bevor Sie etwas Falsches denken: Das alles war ein absolutes Missverständnis. Wie hätte ich denn ahnen sollen, dass sich hinter einer solch kunstvoll-unschuldigen Einladung etwas dermaßen Abartiges verbirgt. Jetzt weiß ich, was Marie von Stetten unter ein wenig Spaß verstand.
Sollte Erik jemals davon erfahren, bin ich echt so was von geschieden. Oder noch schlimmer, meine Eltern, ich darf gar nicht erst daran denken. Bestimmt würde meine Mutter Pater Paulus holen und ich müsste mich mit ihm bei einer schönen Tasse Kaffee über die Verlockungen des Teufels … Nein, gar nicht erst dran denken, und zu meiner Verteidigung sei hier festgehalten, dass ich, als ich begriffen hatte, dass das weniger ein höchst exklusiver Club zum Tanzen, sondern vielmehr zum F… war, mich auf der Stelle durch das offene Fenster in der Toilette aus dem ekstatischen Dunstkreis davon gemacht habe.
»Frau Dr. Weitzman!«, dringt
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