Hi, Society
ausgeschaut hat, und Sophie hat mir ihr schwarzes Louis-Vuitton-Cape geliehen, aber dennoch ist mir ziemlich mulmig zumute. Ich glaube überhaupt, dass ich noch nie auf einem Friedhof war. Naja, außer in Paris, am Père Lachaise, aber das zählt nicht, weil das quasi eine Mischung aus Architekturstudie, Kulturprogramm und Promi Watching war, auch wenn die Promis allesamt schon verstorben waren. Erik wollte unbedingt hin wegen Caillebotte, Chopin, Rossini und ich wegen Coco Chanel, doch die ist in Lausanne begraben, was mir mein netter Ehemann allerdings verschwieg – Exehemann, keine Ahnung was er zum gegenständlichen Zeitpunkt ist, ein Weg-Ehemann jedenfalls, ein Ehemann, der nicht anrief und sich nicht entschuldigte, weder dafür, dass er mich eine Ewigkeit ihr Grab suchen ließ, während er gemütlich Molière, Morrison und Oscar Wilde Besuche abstattete, noch für alles andere.
»Lasst uns für die Verstorbene beten!«, faltet der Priester seine Hände und senkt das Haupt, während ich die Trauergemeinde näher unter die Lupe nehme. Es sind bloß eine Handvoll, weshalb ich mir auch ein wenig fehl am Platze vorkomme.
Es gibt ein überdimensional riesiges Bouquet aus weißen Rosen, das haben glaube ich die Hollywood-Produzenten spendiert, und daneben ein paar kleinere Kränze mit schwarz-goldenen Trauerschleifen.
›Letzter Gruß. Adieu. In lieber Erinnerung‹, lese ich und versuche nicht zu weinen. ›Lebe wohl. Dein Platz bleibt leer.‹ Ich wische mir übers Gesicht. Das Streichquartett spielt Tschaikowskys Andante.
›Sadly missed.‹ Der Kranz ist aus weißen Lilien gebunden, er steht ganz vorn direkt neben dem Sarg. Er hat ein schwarzes Samtband und ganz unten entziffere ich ›Love, Alex.‹ Unwillkürlich muss ich schlucken.
Er ist von ihm.
»Vater, ich empfehle meinen Geist in deine Hände«, sagt der Priester jetzt und nimmt den Sprengwedel zur Hand. Er zeichnet ein Kreuz in die Luft und sogleich prasselt ein Blitzlichtgewitter hinter der Presseabsperrung hernieder, welches die kleine zierliche Frau direkt vor mir erneut laut aufschluchzen lässt. Es ist Katharinas Mutter. Sie wirkt zerbrechlich, geradezu gläsern, in ihrem schlichten schwarzen Kleid. Sie weint ohne Unterbrechung in ein dunkles Schnupftuch. Daneben steht Katharinas Vater, die Lippen fest aufeinander gepresst. Er weint nicht, aber sein Kummer ist dennoch kaum zu verbergen. Die dunklen Mandelaugen wirken gefroren, er selbst wie erstarrt. Dahinter beten ein paar ältere Damen, ihr Antlitz unter dunklen Hüten versteckt, vermutlich ein paar Tanten und Onkeln. Weiter hinten mache ich derweil das beinahe vollständig vertretene Ensemble der Josefstadt aus. Ich kenne den Großteil aus Vorstellungen. Hier der Lumpazivagabundus, Schnitzlers Fräulein Else, der Verschwender von Raimund, Grillparzers König Ottokar … und hier – mein Herz steht still, ich kann kaum atmen:
Der Hollywoodstar!
Groß, charmant, umwerfend!
»Amen!«
»Mein aufrichtiges Beileid!«, strecke ich ein Vater Unser und den Aaronitischen Segen später Alexander Skars die Hand entgegen und konzentriere mich darauf, mein Zittern einigermaßen im Griff zu halten, während mir das Herz bis zum Halse schlägt.
»Danke!«, sagt er zurückhaltend und ein leichter Akzent mischt sich seinem Englisch bei, genauso wie ich es aus der NBC-Serie kenne, die ich in Hawaii immer geguckt habe.
»Kannten Sie Marie?« Er wirkt schüchtern und ich nicke betreten.
»Ich war ihre Logopädin!«, erkläre ich, während die letzten Trauergäste nach und nach aus der kleinen Rokoko-Kapelle nach draußen ins Warme strömen und uns hier zurücklassen.
»Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen«, sagt er nach einem kurzen Blick auf die Uhr und reicht mir höflich die Hand. »Mein Flugzeug geht in zwei Stunden«, fügt er erklärend hinzu.
»Dann besuchen Sie gar nicht Ihre Familie?«
Er sieht mich überrascht an.
»Meine Familie?«
»Ich dachte an die Frau Ihres verstorbenen Bruders«, erkläre ich mitfühlend und bemerke einen Hauch Spannung in seinem Gesicht. »Sie lebt doch noch in Wien?«
Er nickt. »Ja. Es bleibt mir nur leider diesmal keine Zeit für einen Besuch«, erklärt er höflich, dennoch ist ihm anzumerken, dass er nicht mehr weiter darüber sprechen will.
»Man trifft sich im Leben immer zweimal!«, sage ich auf einmal wie aus dem Nichts. »Kennen Sie den Spruch?«
Skars wirkt verwirrt. »Ich weiß nicht ganz, worauf Sie hinauswollen.«
»Na, Sie kannten doch
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