Hibiskusblüten
ein Schwimmbassin geworfen, worauf er sich die Lungenentzündung holte, dann hätte ich dem Gericht bestätigen können, daß diese Pneumonie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Folge des Sturzes ins kalte Wasser entstanden sei. Aber so? Nein.“
„Gibt es denn nichts“, fragte ich verzweifelt, „was sonst noch zu einer Lungenentzündung führen kann? Kein Gift, oder so was Ähnliches?“
„Natürlich“, sagte er, „gibt es vieles, was eine Pneumonie hervorrufen kann. Zum Beispiel lange Bettlägerigkeit oder Verschüttungen, bei denen der Patient längere Zeit in seiner Atmung stark beschränkt war, oder Reizmittel, die die Lunge angreifen, wie beispielsweise der Staub eines Zementwerkes, und dergleichen. Aber ich glaube kaum, daß Mister Pickles vor seiner Krankheit einer solchen Gelegenheit ausgesetzt war.“
„Aber es gibt doch, wenn ich mich nicht irre, zwei verschiedene Arten von Lungenentzündung, da ist erstens die... “
„Gut, gut“, nickte er mir zu und deutete mit seinen welken, vom vielen Waschen ganz runzeligen Händen ein Beifallsklatschen an, “gut, gut! Wirklich ausgezeichnet, Herr Detektiv!“
Sein Gesicht sah aus, als ob sich ein Vater freue, wenn sein Kind wußte, daß zwei mal zwei vier ist. „Ich sehe, daß Sie erstaunliche Fachkenntnisse haben!“
Wieder lachte er meckernd auf. Er schien sich über mich köstlich zu amüsieren.
„Es gibt“, erklärte er, „tatsächlich verschiedene Arten von Pneumonie. Da ist einmal die primäre, auch genuine, kruppöse oder lobäre Lungenentzündung. Ihr Erreger ist ein Doppelkokkus, in seltenen Fällen auch ein Bazillus. Sie äußert sich in einer Hepatisation der Lungenbläschen mit Blutfaserstoff. Bei alten Leuten und Trinkern führt sie leicht zum Tode. Mister Pickles war zwar kein Trinker, aber doch schon ein recht betagter Herr. Und dann gibt es die sogenannte Bronchopneumonie, eine sekundäre Lungenentzündung, die mit einer Erkrankung in den kleinsten Bronchien beginnt. Man trifft sie häufig im Anschluß an Infektionskrankheiten, besonders bei Masern — die Mister Pickles vermutlich schon vor einem Menschenalter überwunden hatte. Sie kann aber auch durch einatmen von Kampfgasen entstehen. Es gibt dann noch die Schluckpneumonie, die durch Speiseteilchen hervorgerufen wird, wenn solche beim Verschlucken versehentlich in die Lunge geraten, und schließlich kennen wir noch die Senkungspneumonie als Folge von Blutstauungen bei Herzkranken oder sehr schwächlichen alten Leuten. Alles aber sind echte Lungenentzündungen, und an einer davon ist Mister Pickles leider gestorben. Sie können versichert sein, daß meine Ärzte und ich alles getan haben, um den Patienten zu retten. Sind Sie nun zufrieden? Ist es mir gelungen, Sie zu beruhigen?“
„Nein“, sagte ich, „denn wenn Sie auch zehnmal auf den Totenschein Lungenentzündung schreiben, bleibe ich doch dabei, daß Joshua Pickles ermordet wurde. Sagten Sie nicht etwas von Kampfgasen?“
Der Blick, den er mir jetzt zuwarf, verriet deutlich, daß ich langsam anfing, für ihn ein interessanter pathologischer Fall zu werden.
„Kampfgase?“ fragte er. „O ja — haben Sie Anhaltspunkte dafür, daß Mister Pickles mit Kampfgasen in Berührung kam?“
„Nicht direkt“, mußte ich zugeben, und das war schon übertrieben. „Aber vielleicht entsteht, wenn man Hibiskusblüten in eine bestimmte Flüssigkeit wirft, vielleicht entsteht dann eine Art von Kampfgas, und...“
„Wieso gerade Hibiskusblüten?“ fragte er interessiert.
Ich hatte das Gefühl, er würde nun bald zwei kräftige Wärter zu Hilfe rufen, die mich irgendwo einsperren mußten. Trotzdem erzählte ich ihm von den verschwundenen Hibiskusblüten. Er hörte mir nur mit halber Aufmerksamkeit zu. Sachverständige hören immer nur zu, wenn sie selber sprechen.
Schließlich gab er mir den Rat, in einem chemischen Labor Hibiskusblüten auf ihre Bestandteile hin untersuchen zu lassen; man könne dann daraus vielleicht auf die Entstehung eines Reizgases oder ähnlicher Reizstoffe schließen. Er aber kenne, aus seiner bisherigen Praxis, keinen solchen oder ähnlichen Fall.
„Ist es auch nicht möglich“, fing ich wieder an, „durch eine Sektion die Art der Pneumonie einwandfrei festzustellen?“
„Aber gewiß. Das macht gar keine Schwierigkeiten. Nur habe ich von mir aus gar kein Interesse an einer Obduktion. Die müßte entweder vom Gericht angeordnet oder von den Verwandten des Verstorbenen verlangt
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