Hibiskusblüten
und besonders einigen Richtern, übelnehmen, daß sie der gleichen Ansicht sind.
Der sachverständige Arzt, Doktor James B. Cassner, benützte die ersten zehn Minuten unserer Unterredung dazu, mich davon zu unterrichten, daß ihm noch niemals ein Irrtum unterlaufen sei. Diese Ansprache war durch eine einfache Frage meinerseits ausgelöst worden.
„Sind Sie, Herr Doktor Cassner, der Meinung, daß Joshua Pickles an einer normalen Lungenentzündung gestorben ist?’’
Doktor Cassner war ein hageres, aber sehr vitales Mannchen zwischen sechzig und siebzig Jahren. Sein kahler Schädel wies überall Buckel und Vertiefungen auf, im ganzen gesehen aber war er kugelrund. Lebhafte, hellgraue Augen, die nie lange an einem Punkt verweilten, erweckten den Eindruck einer gewissen unaufmerksamen Fahrigkeit. Sein Greisenmund war klein, die Lippen farblos und eingesogen; und wenn man sich die Freuden des Lebens vom Halse halten mußte, um ein Sachverständiger zu werden, dann hatte Doktor Cassner dieses Opfer bestimmt gebracht.
„Wieso?“ fragte er mich nach seiner langatmigen Erklärung. „Wieso kommen Sie auf den abwegigen Gedanken, Mister Pickles könne an etwas anderem gestorben sein?“
„Seine Schwester“, erklärte ich, „war eine kerngesunde Frau. Sie bekam eines Tages eine Lungenentzündung und starb prompt. Mister Pickles war ein kerngesunder Mann, bekommt Lungenentzündung und stirbt genauso prompt. Dinah Clearney, eine Nichte Mister Pickles’, wird erwürgt. Das sind mir etwas zuviel Todesfälle auf einmal in einer Familie.“
Doktor Cassner ließ ein meckerndes Lachen hören.
„Sie sind Detektiv, nicht wahr? Da ist es weiter nicht verwunderlich, wenn Sie hinter allen Dingen ein Verbrechen wittern. Sie müssen das sogar, wenn Sie in Ihrem Beruf etwas leisten wollen. Aber Sie müssen auch in der Lage sein, den Ausführungen eines Fachmanns Glauben zu schenken. Übrigens leide ich teilweise an dem gleichen Fehler: ich sehe auch in jedem Menschen zunächst einmal einen Kranken. Sie, zum Beispiel,…“
„Verzeihung“, unterbrach ich ihn, „ich fühle mich außerordentlich wohl.“
„Das freut mich“, nickte er gönnerhaft, „trotzdem sind Sie nicht gesund. Die unregelmäßigen Pigmentablagerungen in Ihrer Haut sowie die Neigung Ihres linken Augenmuskels, mit dem rechten nicht zu korrespondieren, lassen auf eine nervöse Reizbarkeit schließen, die...“
„Himmel noch mal! Ich habe die Sommersprossen ehrlich von meiner Mutter geerbt, und schielen tu’ ich nur, wenn mich jemand so aufregt wie Sie. Gibt es denn nicht noch eine Krankheit, die genauso aussieht wie Lungenentzündung?“
„Für mich nicht“, stellte er nachdrücklich fest.
„Dann muß es etwas geben, womit man eine Lungenentzündung hervorrufen kann. Glauben Sie mir, Doktor, Joshua Pickles ist keines natürlichen Todes gestorben.“
Nun musterte er mich sehr aufmerksam und sagte: „Merkwürdig. Haben Sie dieserhalb vielleicht auch mit meinem Kollegen Doktor Howard gesprochen?“
„Ja.“
„Ach so“, brummte er, „nun verstehe ich. Doktor Howard hat sich von Ihrer merkwürdigen, fast möchte ich sagen fixen Idee anstecken lassen. Er, ein bekannter und durchaus sachlicher Arzt, hat ähnliche Bedenken geäußert. Zum Glück konnte ich ihn nicht nur beruhigen, sondern auch überzeugen. Aber bei Ihnen scheint mir das nicht zu gelingen.“
„Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen, Doktor: Joshua Pickles ist ermordet worden, und ich werde...“
„Entschuldigen Sie, junger Mann, wenn ich Sie unterbreche — aber in meiner nun fünfunddreißigjährigen Gerichtspraxis wurde eine Lungenentzündung noch immer, und von allen Richtern, als eine natürliche Todesursache angesehen. Ich erinnere mich jedoch eines Falles im Jahre 1932, wo ein Mann wegen Mordes verurteilt wurde, der seine Frau im Anschluß an eine Party stundenlang auf den Balkon gesperrt hatte, wo sie sich bei zwei Grad unter Null eine Pneumonie geholt hat. Dieser Mann wurde zwar wegen Mordes verurteilt, trotzdem war die Lungenentzündung seiner Frau eine natürliche Krankheit. Können Sie etwa nachweisen, daß Mister Pickles die Lungenentzündung auf eine ähnliche Art absichtlich beigebracht wurde?“
„Eben nicht. Aber ich bin ja auf der Suche danach.“
„Also gut, Herr Detektiv — was wollen Sie dann von mir? Da müssen Sie doch zunächst einmal konkrete Vorfälle finden. Wenn Sie zum Beispiel gekommen wären und mir erklärt hätten, man habe den alten Herrn in
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