Hibiskusblüten
erfahren, verfolgt die Polizei bereits bestimmte Spuren. Es dürfte sich nur noch um eine kurze Zeitspanne handeln, bis sie den ruchlosen Mörder gefaßt hat.“
Er hängte ein und grinste mich an.
„Das schreibe ich bei solchen Fällen immer. Das geht der Polizei glatt ‘runter und beruhigt die braven Bürger. Aber wer kann’s nun wirklich gewesen sein?“
Ich entwickelte ihm eine Theorie, in der ich haarscharf nachwies, daß niemand anders als Mary-Ann die Mörderin sein könne. Hierauf entwickelte ich ihm eine zweite Theorie, derzufolge nur Franky Buttom den Mord begangen haben konnte. Schließlich erklärte ich ihm noch eine dritte Theorie, wonach der Gärtner und Isabel als Täter in Frage kommen.
„So“, schloß ich, „und nun bin ich mit meinem Latein am Ende. Was können wir tun, um Eve zu finden? Du darfst sie übrigens nirgends erwähnen.“
„Hab’ ich ja nicht, hast du doch gehört.“
„Ja, natürlich. Ich bin schon ganz wirr. Aber wenn wir Eve finden, dann haben wir den Schlüssel zu allem in der Hand.“
„Gar nichts“, sagte er, „wir können gar nichts tun. Wir müssen auf das Testament warten. Vielleicht gibt uns das einen Aufschluß. Oder die ganze Sache hängt noch mit früher zusammen, mit dem Filmschauspieler und dem Skandal. Ich wollte dir ja die Artikel ‘raussuchen, aber ich bin noch nicht dazu gekommen.“
„Meinst du, daß wir aus dem Testament etwas entnehmen können? Und wenn Onkel Joshua nun doch nicht stirbt? Oder es zu lange dauert?“
„Es kann nicht mehr lange dauern. Ich stehe mit dem Krankenhaus in ständiger Verbindung.“
„Und du glaubst auch, daß die beiden Alten auf irgendeine heimtückische Art...“
„Das weiß ich nicht. Ist mir auch egal. Auf alle Fälle war das eine gute Idee von dir, und für mich ist’s ein enormer Aufhänger.“
Wir unterhielten uns noch eine Weile über das Für und Wider der verschiedenen Theorien, als das Telefon klingelte.
Lewis nahm den Hörer ab, dann bedeckte er rasch die Sprechmuschel mit der Hand und flüsterte mir zu: „Das Krankenhaus.“
„Wirklich?“ hörte ich ihn hierauf fragen. „Wann? — Vor einer Stunde? — So. An Lungenentzündung? Aha. — Und es ist keinerlei Zweifel möglich? — Nicht? — Doktor Cassner hat selbst den Totenschein unterschrieben? — Aha. Sehr gut. — Vielen Dank.“
Er hängte ein.
„Mister Joshua Pickles“, sagte er, „ist vor einer Stunde an Lungenentzündung im Santa-Monika-Krankenhaus gestorben. Doktor Cassner hat den Totenschein unterschrieben, und jetzt kannst du beruhigt schlafen gehen; denn wenn der sagt, es sei Lungenentzündung, dann war’s bestimmt eine. Verdammt noch mal, jetzt kommt wieder alles auf einmal. Soll ich nun auf die erste Seite — he? Wohin so eilig? Wollen wir nicht daraufhin einen Whisky...“
Ich war aufgesprungen.
„Ins Krankenhaus“, sagte ich, „ich muß unbedingt mit Doktor Cassner sprechen.“
„Armer Irrer“, hörte ich ihn noch sagen. Ich rannte zu meinem Wagen hinaus, merkte, daß ich John vergessen hatte, und kehrte wieder um. Ich entdeckte John neben Lewis’ Couch. Der kleine Kerl klopfte mit seinem Schwänzchen erfreut auf den Boden, als ich mich zu ihm hinunterbeugte. Er saß neben einem kleinen Häufchen. Wir verdrückten uns beide stillschweigend, während Lewis schon wieder in seinen Korrekturen wühlte.
Es gibt eine ganze Reihe von Worten, die alle das gleiche bedeuten: Fachmann, Experte, Spezialist, Kapazität, Koryphäe, Sachverständiger; sie alle bezeichnen einen Menschen, der auf einem gewissen Gebiet von anderen Menschen als besonderer Könner angesehen wird. Aber man muß sich nur einmal mit einem solchen Fachmann unterhalten haben, um festzustellen, daß er zwar vielleicht auf seinem Fachgebiet allerlei weiß, sonst aber verzweifelt viel Ähnlichkeit mit einem Maulesel aufweist. Ihr durch viele Jahre hindurch auf ein bestimmtes Gebiet trainierter Denkapparat weigert sich störrisch, einfache und naheliegende Gedankengänge zu erfassen. Diese Sachverständigen gibt es auf allen Gebieten der Wissenschaft.
Doktor James B. Cassner, der Chefarzt des Santa-Monica-Krankenhauses, war ein Sachverständiger für medizinische Fragen, und seine Gutachten hatten vor Gericht schon häufig über Leben und Tod eines Angeklagten entschieden. Sachverständige sind, was man ihnen selbst nicht übelnehmen sollte, von der Überzeugung durchdrungen, sich niemals irren zu können. Man müßte es aber der übrigen Menschheit,
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