Hibiskusblüten
meinen Schoß, rollte sich da zusammen und schlief. Offenbar hatte er sich ans Auto schon gewöhnt; denn es wurde ihm auf der ganzen Strecke nicht ein einziges Mal schlecht.
Mein Freund beim FBI war Mister Marting, der mir einmal auf die Schulter geklopft und gesagt hatte: „Für einen Privatdetektiv haben Sie allerhand auf dem Kasten, aber — nehmen Sie es mir nicht übel — Sie sind der häßlichste Bursche, dem ich je begegnet bin.“
Steve Marting war ein untersetzter Fünfziger, unglaublich schlau und unglaublich grob. Eine große Narbe auf seiner linken Backe, die sich bis in den Mundwinkel herabzog, gab seinem Gesicht den Ausdruck eines ständigen satanischen Lächelns. Er hatte immer einen erloschenen Zigarrenstummel zwischen den Lippen, und ich wußte nicht, woher er diese Stummel nahm: kein Mensch hatte ihn jemals mit einer ganzen, brennenden Zigarre gesehen.
Er trug heute eine sandfarbene Offiziershose, ein kurzärmeliges Hemd in der gleichen Farbe, und im Ausschnitt seines offenen Hemdes schimmerte zwischen einem Wald von grauen Haaren ein mexikanischer Golddollar, den er an einem feinen Goldkettchen trug. Seine Hände und die nackten, behaarten Unterarme erweckten den Eindruck, als ob er damit ohne große Anstrengung einen ausgewachsenen Stier erschlagen könne.
Sein hervorstechendstes Charakteristikum jedoch war seine Art, kein Beamter zu sein. Er fürchtete sich vor keinem Vorgesetzten und erst recht nicht vor seinen Untergebenen. Wußte einer von diesen mehr als er, so erkannte er das neidlos an und sorgte dafür, daß der Mann seinen Lohn bekam. Seine Leute vergötterten ihn, und seine Vorgesetzten wagten es nicht, den unbequemen, klugen Mann zu versetzen.
Als wir sein Büro betraten, ließ er gerade einen roten Gegenstand in seiner Schublade verschwinden und deutete, ohne sich von seinem Platz hinter dem Schreibtisch zu erheben, auf einen Stuhl. Er sagte, indem er Mary-Ann anblickte:
„Setzen Sie sich bitte, Madam.“ Dann schaute er mich an, kniff seine hellgrauen Augen zusammen und sagte kopfschüttelnd: „Schöner sind Sie inzwischen auch nicht geworden, Allan. Was kann ich für euch tun?“
„Es dreht sich in zweiter Linie um Dinah Clearney“, fing ich an. Er war sofort im Bilde.
„Aha“, sagte er, „das erwürgte Mädchen da oben am See. Wieso in zweiter Linie?“
„In erster Linie habe ich zwei rätselvolle andere Todesfälle. Ich glaube, daß das alles zusammenhängt, aber ich kann’s nicht beweisen.“
„Bitte kurz“, sagte er. „Entschuldigen Sie, Madam, aber ich kenne ihn genau: wenn er erst anfängt zu reden, hört er nicht mehr auf. Also los, mein Junge, was hast du verbockt? Wenn du nichts verbockt hättest, wärst du doch wohl nicht zu mir gekommen, oder?“
„So ähnlich ist es schon“, gab ich zu. „Also hören Sie. Ich muß aber doch der Reihe nach erzählen.“
Er gab seinem Drehstuhl einen Schwung, so daß er zur Seite pendelte, legte seine Füße auf die Ecke des Schreibtisches, massierte sich den Schädel und blickte dabei an die Decke. Wie ein Geistlicher im Beichtstuhl murmelte er: „Ich höre.“
Das war seine Art, derartige Berichte anzuhören. Ich wußte, daß diese Haltung bei ihm höchste Konzentration bedeutete.
Ich erzählte ihm nun tatsächlich alles, wie es sich zugetragen hatte, angefangen von den entwendeten Hibiskusblüten bis zu Frankys übereilter Flucht. Ich berichtete es so nüchtern wie möglich, ohne persönliche Färbung.
Als ich geendet hatte, massierte er noch immer seinen Kopf. Ich wußte, daß er seit einer Verletzung an chronischem Kopfweh litt.
Halb über die Schulter nickte er Mary-Ann zu: „Böse Sache für Sie, Mrs. Buttom. Eine märchenhaft verfahrene Geschichte ist das. Wo befindet sich Ihr geschiedener Mann?“
Sie blickte mich kurz an, und ich nickte ihr ermunternd zu.
„In San Fernando“, sagte sie, „in einer kleinen Pension, Cacoima Avenue 518.“
Steve Marting schwang sich zurück und schrieb etwas auf einen Block, wiederholte die Anschrift und drückte auf einen Knopf. Fast im gleichen Augenblick kam ein junger Sergeant herein.
Marting gab ihm den Zettel. „Erledigen Sie das, bitte.“
Dann wandte er sich wieder an uns und sagte: „Tja — ich könnte natürlich sofort eine große Suchaktion nach dem Kind starten. Ich stimme aber mit Stretcher darin überein, daß es besser ist, noch ein oder zwei Tage abzuwarten. Auf alle Fälle nehme ich Sie, Mrs. Buttom, und Ihren geschiedenen Mann in Haft,
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