Hidden Moon
da draußen im Dunkeln, überall, reglos und nur schwer auszumachen, wie Schatten, die sich in Schatten hüllten. Und doch waren sie da. Lilith hätte es auch dann gewußt, wären die Konturen der Männer und Frauen dort nicht zu erahnen gewesen. Sie spürte ihre starrenden, bohrenden Blicke, und sie spürte vor allem, was in diesen Blicken zu ihr getragen wurde.
Ablehnung, die sie in Gedanken nur deshalb nicht als Haß bezeichnete, weil sie nicht wußte, weshalb diese Menschen sie hätten hassen sollen.
Weil sie spüren, wer du bist...
Was du bist...
Daß du keine von ihnen bist...
Bastard .!
Ihre eigenen Gedanken schienen Lilith vor Hohn triefend. Einmal mehr wurde ihr die ewige Einsamkeit, in der sie gefangen war, schmerzlich bewußt. Trotzdem sie nicht allein war, zum ersten Mal seit langer, sehr langer Zeit jemanden an ihrer Seite wußte, der ihr nicht nur körperlich nahe war. Was ihm - wie anderen vorher - zum Verhängnis werden konnte. Wenn auch auf andere Weise.
Selbst über die räumliche Distanz, die zwischen ihr und Hidden Moon bestand, glaubte sie den trägen Rhythmus seines dunklen Blutes zu hören, zu fühlen .
Blut, Blut, BLUT!
Im gleichen Takt pochte dieses eine Wort lautlos, aber ungeheuer mächtig in ihren Ohren, zwischen ihren Schläfen - überall!
Lilith ballte die Fäuste. Ihre Nägel wuchsen, bohrten sich in die eigenen Handballen. Der selbst zugefügte Schmerz brachte sie zur Besinnung. Aber für wie lange?
Sie zermalmte den Gedanken und alles, was in seinem Gefolge war.
Für wie lange ...?
»Siehst du sie?«
Es war nichts anderes als der Versuch, sich mit dem Klang der eigenen Stimme abzulenken. Denn sie hatte längst bemerkt, daß auch Hidden Moons Blick die reglosen Beobachter in Winkeln und Ecken beiderseits der Straße entdeckt hatte.
»Ja«, sagte er langsam. »Und sieh dorthin.«
Er deutete durch die Windschutzscheibe und über die Motorhaube des Wagens nach vorne. Lilith folgte seinem Fingerzeig.
So bar aller Bewegung, fast allen Lebens Osceola hinter ihnen gewirkt hatte, so belebt zeigte es sich vor ihnen. Die Straße war - nun, nicht voller Menschen, aber es waren in Anbetracht der bisherigen Leere doch auffallend viele, die aus allen Richtung kamen und ein gemeinsames Ziel hatten. Sie verschwanden samt und sonders in einem Ziegelgebäude, über dessen Eingang eine Leuchtreklame flackerte.
Hidden Moon nahm den Fuß etwas vom Gaspedal.
»Was hast du vor?« fragte Lilith.
Der Arapaho stoppte den Wagen schließlich am Straßenrand.
»Wir sollten ein paar Fragen stellen«, sagte er.
»Hier?«
»Wo sonst?« meinte er. »Hier scheint ja zumindest etwas los zu sein. Und in einer Kneipe erfährt man immer am meisten.«
Er lächelte matt und wies auf das Gebäude, in dem die Leute verschwunden waren, nachdem sie sich wie Motten, die vom Licht angezogen wurden, darauf zubewegt hatten.
Als sie aus dem Wagen stiegen, spürte Lilith die Blicke aus den Schatten noch intensiver. Fast unbewußt befahl sie dem Symbionten, sich »hochzuschließen«.
Dann folgte sie Hidden Moon in die Kneipe, deren Name über dem Eingang in blutigem Neonlicht glomm: Stoker's.
* Er spürte etwas wie vage Verwandtschaft.
Und für kurze Zeit kroch sein kaltes Blut ein weniger schneller durch die uralten Adern. Die Aussicht auf Gesellschaft, die seinem Stande würdig war (wenn freilich auch nicht ebenbürtig - schwarzes Blut allein erhob niemanden in den Stand, den er einst innegehabt hatte), beseelte ihn mit einem Hochgefühl, das er seit wahren Ewigkeiten nicht mehr empfunden hatte: Seit er alles verloren hatte, was seine Existenz einst rechtfertigte .
Doch das Gefühl verging - viel zu rasch, als daß sein müdes Sein sich daran hätte berauschen können. Denn je länger er sie »erforschte«, desto offenbarer wurde die Andersartigkeit derer, die sein kleines Reich so unvermittelt betreten hatten. Sie waren nicht wirklich von seiner Art, und selbst zwischen den beiden fremden Wesen bestanden Unterschiede.
Nein, sie taugten nicht dazu, sein Dasein dauerhaft zu versüßen. Allenfalls zur Zerstreuung konnten sie ihm dienen. Ein paar Nächte lang vielleicht würde er sich an dem weiden können, was er ihnen antun konnte - wenn er ihrer habhaft geworden war.
Ein paar Nächte lang .
Sein freudloses Lachen wehte durch die Leere des Hauses. Wie lächerlich gering war diese Zeitspanne doch im Vergleich zu der, die sein Leben schon währte. Sie war weniger als ein Tropfen im Meer dieser -
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