Hidden Moon
Moment, allerhöchstens für die Dauer einer Sekunde.
So lange sie es empfingen.
Etwas, das aus dem Nichts kommend den Raum erreichte und ausfüllte und etwas tief in ihnen berührte, initialisierte.
Etwas wie ein - Ruf .
Als er verhallt war, regten sich die beiden Männer wieder, führten die Bewegung des Momentes zu Ende. Und taten dann doch etwas ganz anderes.
»Kommen Sie«, sagte Manners und gab Tewes einen Wink.
Er ging zur Tür.
Darren Tewes folgte ihm, blieb aber noch einmal stehen, als ihn Kristins Stimme einholte, schwach, aber verzweifelt und schmerzerfüllt.
»Nein, Darren, bitte nicht. Bleib bei mir. Hilf mir ...«
Tränen verschleierten seinen Blick. Kristins Gestalt verschwamm zu einer Ansammlung grotesker Schlieren. Doch seine Stimme klang hart, kalt, als er erwiderte: »Ich kann nicht. Wir müssen gehen. Wir werden gebraucht.«
Dann verließ er das Schlafzimmer, ohne ein weiteres Wort zu verlieren oder auch nur einen Blick zurückzuwerfen, und ging Manners nach. Unten schloß Geordi sich ihnen an. Auch ihn interessierte das Schicksal seiner Mutter nicht länger.
Denn in Osceola gab es Bande, die stärker waren als jene, die eine Familie zusammenhielten.
*
OSCEOLA ...
Das Schild verschwand hinter ihnen, als der Wagen die imaginäre Linie zwischen der kleinen Stadt und dem Rest der Welt überquerte.
Aber es schien im gleichen Moment viel mehr zu geschehen; sehr viel mehr.
Lilith spürte es, obwohl der brennende Durst alles bestimmend in ihr war und dunkle Blitze jeden ihrer Gedanken zu zertrümmern trachteten.
So, dachte sie auf einer tieferen Ebene ihres Bewußtseins, die noch nicht vom tobenden Chaos erobert worden war, muß der Wahnsinn beginnen .
Und mit eben jenem letzten Rest von Klarheit nahm sie auch wahr, was in dem Moment passierte, da Hidden Moon den Wagen am Ortsschild vorüberlenkte.
Der Rest der Welt schien nicht einfach hinter ihnen zurückzubleiben - sondern zu verschwinden. Als wäre er Teil einer anderen Wirklichkeit, die sie eben verlassen hatten - mit einer einzigen Drehung der Räder ihres Fahrzeugs, das der Arapaho in New Jericho besorgt hatte.
Letztlich zerstob der Gedanke in Lilith wie jeder andere vor ihm.
Aber er ging nicht völlig unter in Vergessen, weil etwas ihre Erinnerung daran wachhielt: Hidden Moon zuckte neben ihr auf dem Fahrersitz zusammen, als hätte er etwas ganz Ähnliches verspürt -nur ungleich machtvoller, weil seine Sinne zum einen nicht von mörderischer Begierde getrübt und zum anderen die eines wirklichen Vampirs waren und ganz und gar der Prägung seines schwarzen Blutes unterlagen.
Seines -
- schwarzen Blutes ...
Lilith stöhnte auf. Der bloße Gedanke an das dunkle Elixier in seinen Adern steigerte ihre Gier danach.
NEIN!
Ihre Stimme erhob sich aus ihrem Innersten über den Sturm, der ihr Denken und ihre Emotionen verwüstete. Lautlos und doch mit dem donnernden Tenor eines Dämons gebot sie dem Toben Einhalt, zwang ungebändigte Triebe zur Räson. Und brachte sich damit gleichsam an den Rand völliger Erschöpfung.
Ihre mentale Energie verging unter dem geistigen Kraftakt wie Wasser in glühender Wüstenhitze. Zwar begann das Reservoir fast augenblicklich, sich von neuem zu füllen, doch es geschah langsam, und Lilith wußte, daß die Kraft kein zweites Mal für die Mobilisierung aller Selbstbeherrschung genügen würde.
Wieder wehte ein erbärmlicher Laut über ihre Lippen, der doch nicht mehr war als ein schwaches Echo ihrer momentanen Verfassung.
»Das scheint mir Antwort genug auf meine Frage.«
Lilith hob den Blick, sah auf zu Hidden Moon.
»Deine Frage?« flüsterte sie matt.
»Wie es dir geht, hatte ich gefragt«, antwortete er.
»Blendend«, preßte sie hervor.
Mit zusammengebissenen Zähnen die schmerzhaften Verkrampfungen ihres Leibes ignorierend, richtete sie sich ein wenig höher auf, so daß sie ungehindert durch Front- und Seitenscheiben aus dem Wagen sehen konnte.
Osceola unterschied sich auf den allerersten Blick in nichts von Tausenden anderer amerikanischer Kleinstädte dieser Größenordnung. Einfamilienhäuser reihten sich zu beiden Seiten der Straße aneinander, durch Gärten voneinander getrennt. Erst ein Stück weiter die Straße hinab standen die Gebäude dann dichter beieinander; vereinzelte Leuchttafeln wiesen darauf hin, daß einige davon geschäftlich genutzt wurden.
Die Unterschiede offenbarten sich erst beim zweiten, längerem Hinsehen. Als müßten die Augen eine dünne Schicht
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