Hier hat s mir schon immer gefallen
Namensschild.
Der Botaniker sprühte sich Insektenabwehrspray auf Ohren, Hals und Haare. Die kleinen schwarzen Moskitos stoben in Schwärmen hoch, als er auf den großen Beifußstrauch zuging. Der Strauch war so groß wie ein Baum und überragte das Meer kleinerer Beifußsträucher. Hinter ihm schimmerte das aufgegebene Behelfslagergebäude mit seinen schiefen, verzogenen Fenstern in der Hitze. Der Herzschlag des Botanikers beschleunigte sich. Früher hatte er sich über den Ehrgeiz von Botanikern und Forschern, den größten Rotholzbaum an der Pazifikküste oder den höchsten Baum im Dschungel von Neuguinea zu finden, lustig gemacht, doch zur gleichen Zeit hatte er begonnen, Beifußgewächse mit dem Hintergedanken zu beäugen, das größte Exemplar darunter zu entdecken. Einige ausnehmend große Exemplare hatte er in der Nähe der Killpecker-Sanddünen gemessen, und ihre Ausmaße hatte er in eines jener kleinen schwarzen Notizbücher eingetragen, wie sie Ernest Hemingway und Bruce Chatwin benutzt hatten. Der größte dieser Sträucher war zwei Meter dreißig hoch. Das Monstrum vor seinen Augen war bestimmt einen halben Meter höher.
Als er näher kam, sah er, dass um den Strauch herum nichts anderes wuchs. Er hatte in seinem Rucksack nur einen Zollstock von einem Meter achtzig Länge dabei, und als er ihn an die hohe Pflanze hielt, erreichte er nicht einmal ihre halbe Höhe. Der Botaniker merkte sich die Stelle, an der sein Zollstock aufhörte. Er musste näher an den Strauch herantreten, um die nächste Messung durchzuführen.
»Ich wette, der ist fast vier Meter hoch«, sagte er zu seinem Zollstock und stützte sich mit einer Hand auf einen muskulösen und merkwürdig warmen Zweig.
Der Beifußstrauch steht noch immer an seinem Platz. In seiner Nähe gibt es keine Gaslager, keine Förderungsanlagen. Keine Straßen führen zu ihm. Auf seinen Zweigen sitzen keine Vögel. Das Behelfslager ist ebenso verschwunden wie die alte Postkutschenstation. Bei Sonnenuntergang hält der große Beifußstrauch seine Arme vor dem roten Himmel in die Luft. Wenn man in die richtige Richtung sieht, kann man ihn nicht verfehlen.
Great Divide
1920
Der schwarze Essex, aus zweiter Hand erstanden, klapperte und keuchte die gefrorene ungeteerte Straße entlang. Der Himmel hing über der welligen Prärie wie entrollte Spulen schmutziger Wolle, und sogar im Wageninneren konnte man den herannahenden Schnee riechen. Der Wagen hatte keine Heizung, und Helen, eine junge Frau mit walnussfarbenem Haar, war von den Schultern bis zur Sohle in ein altmodisches Büffelfell gehüllt, das stellenweise zu kahlem Leder abgewetzt war. An einem kleinen Steinhügel bog Helens Mann Hi Alcorn nach links auf einen kaum sichtbaren Weg ab.
»Bald sind wir da«, sagte er. »Keine zwei Meilen mehr.«
»Wenn uns der Sturm nicht vorher einholt«, antwortete sie mit ihrer seufzenden Stimme.
»Uns kann nichts passieren«, sagte er. »Überhaupt nichts. Wir fahren gerade zu unserem eigenen Grundstück. Nächstes Jahr um diese Zeit können wir von hier aus das Licht in den Fenstern sehen.«
Seine Füße bearbeiteten die Pedale, und sie sah, dass die Schnürsenkel seiner abgetragenen alten Oxford-Schuhe mit Schnur geflickt waren. Gelber Lehm, der sich zu Gips verfestigt und dann in den Staub im Inneren des Essex gemischt hatte, verfärbte die Schuhe.
»Ich sehe keine Häuser«, sagte sie. »Das sieht nicht so aus wie das, was Mr. Bewley uns versprochen hat. Er hat gesagt, es würde fast eine richtige Stadt werden.«
»Das dauert noch.Vermute, dass wir nächstes Jahr um diese Zeit alle bauen werden. Diejenigen, die spät dran sind.«
Die Kolonie hatte zwei Seiten, die Ostseite, die bereits bewohnt war, und die Westseite, wo sie ein Grundstück gekauft hatten, das noch Brachland war.
Der Staub brachte Hi zum Husten, bevor er weitersprechen konnte. »Mr. und Mrs. Wash sind wie wir gerade erst angekommen, und genauso die Brüder Ned und Charlie Volin. Die werden auch bauen. Die Washs waren bei dem Picknick.« Unerwartet riss er das Steuer nach rechts, wo ein Holzpfosten aufragte, dessen Spitze weiß angestrichen war. Zaunpfosten ohne Zaun verliefen nach Westen.
»War Mrs. Wash die mit dem roten Muttermal am Kinn?«
»Vermutlich war sie das. Ich weiß noch, dass irgendwas mit ihrem Gesicht war. Okay, da wären wir. Südwestliche Ecke. Wir sind auf unserem Grund und Boden angekommen. Erkennst du es wieder?«
Sie waren im Mai hergekommen, gleich nach
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