Hier kommt Hoeneß!
der FC Bayern in der Zwischenrunde der Champions League mit einem erschreckend teilnahmslosen und uninspirierten Auftritt 0 : 3 bei Olympique Lyon verloren, das Zwischenziel Viertelfinale war in Gefahr. Die Niederlage fiel, gemessen an der katastrophalen Leistung, noch freundlich aus. Beim mitternächtlichen Bankett im Saal »Tête d’Or«, zu Deutsch »Goldhaupt«, des »Hilton«-Hotels von Lyon ließ Präsident Beckenbauer daraufhin seinem ganzen Frust freien Lauf. Aus einer Rede wurde eine Brandrede – an dieser Stelle noch einmal in vollem Umfang. Im Vergleich zum witzig-skurrilen Wutausbruch von Trainer Giovanni Trapattoni im März 1998 ist der Kaiser-Auftritt um einiges schärfer und unterhalb der Gürtellinie. In jedem Fall ist der Alleingang Beckenbauers auch im kompletten Wortlaut noch einmal lesenswert:
»Über das Spiel wird man sicherlich das eine oder andere Wort verlieren müssen. Ich sage immer, man kann jedes Spiel verlieren. Die Frage ist immer nur, wie man ein Spiel verliert. Das war heute eine Blamage. So, wie wir gespielt haben, aber das hat sich schon in den letzten Wochen und Monaten angedeutet, das hat nichts mit Fußball zu tun. Das ist eine andere Sportart, die wir spielen.
Lyon hat Fußball gespielt. Wir haben nicht Fußball gespielt. Wir haben zugeschaut, wir haben körperlos gespielt. Das ist nicht Fußball, das ist Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft, Altherrenfußball. Tut mir leid, wenn ich das so sagen muss. Es ist so.
Es hat von der Tribüne vermutlich noch schlimmer ausgesehen, als ihr es unten auf dem Platz mitbekommen habt. Das hat nichts mit Fußball zu tun. Wir sind jetzt sicherlich in einer Situation, wo wir noch einiges retten können.
Wir sind noch in der Meisterschaft mit einem Punkt Rückstand Zweiter. Wir sind noch in der Champions League Tabellenführer. Nur, wir müssen, oder ihr müsst, ich nicht, ich schaue nur oben auf der Tribüne zu. Ich sehe einiges. Ihr müsst euer Spiel komplett umstellen. Wenn ihr so weiterspielt wie jetzt, werden die ganzen Trophäen sicherlich nicht nach München gehen.
Wir haben noch Zeit, aber es ist sicherlich fünf Minuten vor zwölf. Anschauungsunterricht war der heutige Gegner. Das ist Olympique Lyon, das ist nicht Real Madrid, Barcelona oder Manchester United– und wir haben heute eine Vorführung bekommen. Warum? Weil die Einstellung nicht gestimmt hat. Weil wir zurzeit einen Fußball spielen, der einfach nicht mehr adäquat ist. Den hat man vielleicht mal gespielt vor 30 Jahren. So etwas spielt man heute nicht mehr.
Ihr müsst euch schleunigst wieder daran gewöhnen, an das Einmaleins des Fußballs: Zweikämpfe. Wenn die Zweikämpfe nicht angenommen werden, bist du immer zweiter Sieger. Auch gegen eine Mannschaft wie heute, die sicherlich eine gute ist, aber nicht zu den besten gehört. Da schaust du aus wie ein Lehrbub, und zum Schluss kannst du noch froh sein und sagen: ›Vielen Dank, dass wir nur 3 : 0 verloren haben.‹ In Zukunft könnt ihr das nicht machen, sonst müssen wir uns alle einen anderen Beruf suchen, das ist vielleicht gescheiter.
Man kann das noch korrigieren. Aber dann müsst ihr morgen anfangen. An die Leistungsgrenze gehen, den inneren Schweinehund überwinden. Sonst stehen wir am Saisonende mit leeren Händen da. Das ist genau das, was wir nicht wollen. Tut mir leid, wenn ich das so schonungslos sagen muss.
Wenn einer Nachhilfeunterricht braucht, dann werde ich ihm noch etwas ganz anderes sagen. Ich stehe auch heute noch und die nächsten Tage zur Verfügung. Denn ich habe sicherlich noch mehr gesehen, als ich jetzt gesagt habe. Aber ich glaube, das genügt.
Es war eigentlich bis auf das Spiel ein schöner Ausflug (Gelächter im Saal) . Es ist noch nicht zu spät. Also werden wir versuchen, aus diesem Spiel die Lehren zu ziehen und es in den nächsten Monaten besser zu machen. Es wird uns auch nichts anderes übrig bleiben. Vielen Dank.«
E inige Gäste applaudieren. Einige senken die Köpfe, stochern in ihrem Teller herum. Uli Hoeneß etwa. Auch Trainer Ottmar Hitzfeld, der sich bemüht, seine Fassung zu bewahren, was ihm von allen Anwesenden noch am besten gelingt. Die Spieler kneifen die Lippen zusammen. Es traut sich niemand, etwas zu sagen. Dann erheben sie sich nach und nach und verschwinden mit hängenden Schultern in ihren Zimmern.
Der Manager war der Erste, der seine Sprache wiedergefunden hatte. Weil er um die unvermeidliche mediale Ausschlachtung der Franz-Rede wusste, hatte ihm der
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