High Fidelity (German Edition)
Astronauten oder Ex-Beatles oder Überlebende von Schiffskatastrophen mehr zu bieten hätten – was ich bezweifle – man würde sowieso nie an sie rankommen. Menschen, die tote Menschen kennen, sind, wie Barbara Streisand hätte singen können, es aber nicht tat, die glücklichsten Menschen der Welt.
»Ist er eingeäschert worden?«
»Warum kommt es darauf an?«
»Ich weiß nicht. Nur Interesse halber. Weil du sagtest, du wärst bei einer Einäscherung gewesen, und ich fragte mich … du weißt schon …«
»Ich würde Laura ein paar Tage Zeit lassen, ehe ich anfinge, sie mit solchen Fragen zu löchern. Es ist keine Erfahrung im Leben, die sich für leeres Geschwätz eignet.«
»Deine Art, mir zu sagen, ich soll die Klappe halten, stimmt's?«
»Stimmt.«
Nur fair.
Das Krematorium steht mitten in der Wildnis, und wir lassen das Auto auf einem riesigen, fast leeren Parkplatz stehen und gehen zu den Gebäuden rüber, die neu und scheußlich sind, zu hell, nicht seriös genug. Man kann sich nicht vorstellen, daß sie darin Leute verbrennen, man kann sich allerdings ein zweifelhaftes Tralala-Meeting einer neuen Religionsgemeinschaft zur gemeinsamen Singerei einmal die Woche vorstellen. Ich würde meinen alten Herrn hier nicht begraben wissen wollen. Ich nehme an, ich bräuchte etwas Unterstützung durch Atmosphäre, um mich so richtig in tiefsten Schmerz zu versenken, und das würde mir mit diesem ganzen Ziegelkram und Naturkiefer nicht gelingen.
Es ist eine Drei-Kapellen-Mehrzweckhalle. Es hängt sogar eine Tafel an der Wand, die einem mitteilt, was in jeder los ist und zu welcher Zeit:
KAPELLE 1: 11.30 Mr. E. Barker
KAPELLE 2: 12.00 Mr. K. Lydon
KAPELLE 3: 12.00 –
Wenigstens in Kapelle 3 gute Neuigkeiten. Einäscherung abgesagt. Berichte über Tod stark übertrieben, haha. Wir setzen uns im Empfangsbereich hin und warten, während der Raum sich langsam füllt. Liz nickt ein paar Leuten zu, aber ich kenne sie nicht, ich versuche mir Männernamen mit »E« ins Gedächtnis zu rufen. Ich hoffe, daß die Behandlung in Kapelle 1 einem alten Menschen gilt, denn falls ich die Trauernden herauskommen sehe, möchte ich, daß sie nicht allzu aufgelöst sind. Eric. Ernie. Ebenezer. Ethelred. Ezra. Wir haben Glück. Wir haben gut lachen. Na ja, nicht gerade lachen, aber wer immer das ist, ist mindestens vierhundert Jahre alt, und unter diesen Umständen kann niemand groß trauern, oder? Ewan. Edmund. Edward. Scheißdreck. Könnte jedes Alter sein.
Bisher weint im Empfangsbereich noch niemand, aber einige sind hart an der Grenze, und man sieht, daß sie die überschreiten werden, ehe der Morgen vorüber ist. Sie sind alle älter, und sie kennen die Spielregeln. Sie sprechen leise, schütteln Hände, lächeln wehmütig, küssen gelegentlich; und dann stehen sie auf, ohne daß ich den Grund erkennen kann, und ich fühle mich hoffnungslos aufgeschmissen, verloren, unwissend, und marschieren durch die Tür mit der Aufschrift KAPELLE 2.
Drinnen ist es wenigstens dunkel, also kommt man leichter in Stimmung. Der Sarg steht vorne, etwas vom Boden abgehoben, aber ich kann nicht erkennen, worauf er ruht. Laura, Jo und Janet Lydon stehen in der ersten Reihe, sehr nah beieinander, neben ein paar Männern, die ich nicht kenne. Wir singen ein Lied, beten, dann kommt eine kurze und unbefriedigende Ansprache des Pastors, irgendwas aus seinem Buch, noch ein Lied, und dann kommt dieses unerwartete, zu Tode erschreckende maschinelle Rasseln, und der Sarg verschwindet langsam im Boden. Und während er es tut, kommt ein Heulen von vorne, ein schrecklicher, schrecklicher Laut, den ich nicht hören will: Ich kann kaum Lauras Stimme darin erkennen, aber ich weiß, daß sie es ist, und in diesem Moment will ich zu ihr gehen und ihr anbieten, ein anderer Mensch zu werden, jede Spur von dem, was mich ausmacht, auszutilgen, solange sie mir nur erlaubt, mich um sie zu kümmern und sie nach besten Kräften zu trösten.
Als wir hinaus ins Licht kommen, drängen sich Leute um Laura und Jo und Janet und umarmen sie; ich möchte dasselbe tun, aber ich weiß nicht, wie. Aber Laura sieht, wie Liz und ich uns am Rande der Gruppe herumdrücken, und kommt zu uns, dankt uns, daß wir gekommen sind, und umarmt uns beide lange, und als sie mich losläßt, spüre ich, daß ich ihr nicht anbieten muß, ein anderer Mensch zu werden: Es ist schon passiert.
I m Haus ist es leichter. Man spürt, das Schlimmste ist überstanden, und eine erschöpfte Ruhe
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