High Fidelity (German Edition)
gesamten letzten paar Wochen mit irgend jemandes Hand auf meinem Arm zugebracht: Ich kann nicht mit Laura reden, weil sie mit einem anderen zusammenlebt und aus Telefonzellen anruft, auch wenn sie es nicht zugeben will, und mit Liz kann ich nicht reden, weil sie von dem Geld und der Abtreibung weiß, und daß ich eine andere gehabt habe, und ich kann nicht mit Barry und Dick reden, weil sie Barry und Dick sind, und mit meinen Freunden kann ich nicht reden, weil ich mit meinen Freunden nicht rede, und jetzt kann ich nicht reden, weil Lauras Dad gestorben ist, und ich muß es schlucken, weil ich andernfalls der üble Kerl bin, mit Betonung auf Kerl, selbstgerecht, blind und doof. Tja, bin ich scheißnochmal nicht , nicht immer jedenfalls, und ich weiß, daß das der falsche Ort ist, es auszusprechen – so bescheuert bin ich auch wieder nicht –, aber wann darf ich es dann?
»Tut mir leid, Jo. Tut mir wirklich leid.« Ich bin jetzt wieder beim Beerdigungsmurmeln, auch wenn mir zum Schreien ist. »Aber weißt du, Liz … ich kann entweder manchmal für mich selbst eintreten, oder ich kann alles glauben, was du über mich sagst und mich schließlich jede freie Minute selbst hassen. Und vielleicht meinst du, das sollte ich, aber ein Leben ist das nicht, weißt du?«
Liz zuckt die Achseln.
»Damit ist es nicht getan, Liz. Du liegst völlig falsch, und wenn du das nicht weißt, bist du beschränkter, als ich dachte.«
Sie seufzt theatralisch, dann sieht sie meinen Gesichtsausdruck.
»Vielleicht bin ich ein bißchen unfair gewesen. Aber ist das jetzt wirklich der Moment?«
»Nur weil nie der Moment dazu ist. Wir können uns nicht unser Leben lang entschuldigen, weißt du.«
»Falls du mit ›wir‹ Männer meinst, muß ich sagen, daß ab und zu schon reichen würde.«
Ich werde bei der Beerdigung von Lauras Dad nicht beleidigt abhauen. Ich werde bei der Beerdigung von Lauras Dad nicht beleidigt abhauen. Ich tu's einfach nicht.
Ich haue beleidigt von der Beerdigung von Lauras Dad ab.
Die Lydons leben einige Meilen außerhalb des nächsten Ortes, der Amersham heißt, und überhaupt weiß ich nicht, wie der Weg zum nächsten Ort geht. Ich gehe um die Ecke und um eine andere Ecke und komme an eine Art Hauptstraße und sehe eine Bushaltestelle, aber es ist keine von den Bushaltestellen, die einem Vertrauen einflößt: Es wartet niemand, und drum herum ist auch nicht viel – eine Reihe großer Einfamilienhäuser an einer Seite der Straße, ein Spielplatz an der anderen Seite. Dort warte ich eine Weile, frierend in meinem Anzug, aber als ich gerade dahintergekommen bin, daß es eine der Bushaltestellen ist, für die man sich eher ein paar Tage als ein paar Minuten Zeit nehmen muß, sehe ich einen vertrauten grünen Volkswagen am Ende der Straße. Es ist Laura, und sie ist mich suchen gekommen.
Ohne nachzudenken, hechte ich über die Mauer, die eins der Einfamilienhäuser von der Straße trennt, und lande der Länge nach in irgend jemandes Blumenbeet. Es ist naß. Aber ich lasse mich lieber durchweichen, als daß Laura auf mich losgeht, weil ich mich verdrückt habe, also bleibe ich dort so lange wie nur menschenmöglich. Jedesmal, wenn ich glaube, ich sei ganz unten angekommen, finde ich einen neuen Weg, noch tiefer zu sinken, aber ich weiß, daß das hier das Schlimmste ist, und was immer mir von jetzt an zustößt, egal, wie arm oder blöd oder einsam ich sein werde, diese wenigen Minuten werden mir als leuchtendes warnendes Beispiel in Erinnerung bleiben. »Ist es immer noch besser, als nach der Beerdigung von Lauras Dad der Länge nach in einem Blumenbeet zu liegen?« werde ich mich fragen, wenn die Gerichtsvollzieher in den Laden kommen, oder wenn die nächste Laura mit dem nächsten Ray durchbrennt, und die Antwort wird immer, immer »Ja« lauten.
Als ich es nicht mehr aushalten kann, als mein weißes Hemd durchsichtig geworden ist und ich stechende Schmerzen – Krämpfe, Rheumatismus, Arthritis, wer weiß – in den Beinen bekomme, stehe ich auf und klopfe mir den Dreck ab; und dann kurbelt Laura, die offensichtlich die ganze Zeit neben der Bushaltestelle in ihrem Auto gesessen hat, das Wagenfenster runter und sagt, ich solle einsteigen.
Was mit mir während der Beerdigung passiert ist, war etwa folgendes: Ich begriff, zum erstenmal, wie sehr ich mich vor dem Sterben fürchte, und davor, daß andere Leute sterben, und wie diese Furcht mich von allen möglichen Dingen abgehalten hat, zum Beispiel davon, mir
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