High Fidelity (German Edition)
erfüllt den Raum, die Art erschöpfter Ruhe, die man im Magen spürt, nachdem einem übel gewesen ist. Man hört sogar Leute über andere Sachen sprechen, obwohl es lauter große Sachen sind – Arbeit, Kinder, Leben. Niemand redet über den Benzinverbrauch seines Volvos oder Namen, die er seinem Hund geben würde. Liz und ich holen uns was zu trinken und stehen mit dem Rücken an einem Bücherschrank, in der Ecke der Tür gegenüber, und wir wechseln gelegentlich ein paar Worte, sehen aber hauptsächlich den Leuten zu.
Es ist angenehm, in diesem Raum zu sein, auch wenn die Gründe unseres Hierseins weniger angenehm sind. Die Lydons haben ein großes viktorianisches Haus, und es ist alt und klapprig und voller Krempel – Möbel, Gemälde, Zierkram, Pflanzen –, der nicht zusammenpaßt, aber offensichtlich mit Geschmack und Sorgfalt ausgewählt wurde. In dem Raum, in dem wir uns befinden, hängt ein riesiges, sonderbares Familienporträt an der Wand über dem Kamin, gemalt, als die Mädchen etwa acht und zehn waren. Sie tragen etwas, das wie Brautjungfernkleidchen aussieht und stehen verlegen neben Ken; vor ihnen und sie halb verdeckend ein Hund, Allegro, Allie, der vor meiner Zeit starb. Er springt an Ken hoch, und Ken zaust dem Hund das Fell und lächelt. Janet steht etwas zurück und abseits der anderen und sieht ihren Ehemann an. Die gesamte Familie ist viel dünner (und bekleckerter, aber das ist halt Malerei) als im wirklichen Leben. Es ist moderne Kunst und bunt und lustig, und offensichtlich von jemandem gemalt, der wußte, was er tat (Laura hat mir erzählt, daß die Frau, die es gemalt hat, Ausstellungen hatte und was nicht alles), aber es muß mit einem ausgestopften Otter konkurrieren, der auf dem Kaminabsatz darunter steht, und der Sorte alter, dunkler Möbel, die ich verabscheue. Oh, und in einer Ecke haben sie eine mit Kissen beladene Hängematte und in einer anderen eine nagelneue schwarze Stereoanlage, Kens kostbarsten Besitz, trotz der Gemälde und Antiquitäten. Es ist alles drunter und drüber, aber man muß die Familie, die hier lebt, lieben, weil man einfach spürt, daß sie interessant und nett und freundlich sein muß. Mir wird jetzt bewußt, daß ich es genossen habe, Teil dieser Familie zu sein, und obwohl ich immer maulte, weil ich an Wochenenden oder Sonntagnachmittagen herkommen sollte, habe ich mich kein einziges Mal gelangweilt. Jo kommt nach einigen Minuten zu uns rüber und küßt uns beide und dankt uns fürs Kommen.
»Wie geht's dir?« fragt Liz, aber es ist das »Wie geht's dir« mit Betonung auf geht , das die Frage bedeutungsvoll und mitfühlend klingen läßt. Jo zuckt die Achseln.
»Ich bin okay. Glaube ich. Und Mum geht es einigermaßen, aber Laura … ich weiß nicht.«
»Sie hatte auch ohne das schon ein paar harte Wochen hinter sich«, sagt Liz, und ich spüre eine kleine Welle von etwas wie Stolz: Das war ich . Ich habe das bei ihr ausgelöst. Ich und ein paar andere, einschließlich Laura selbst, aber egal. Ich hatte vergessen, daß ich irgendwas bei ihr auslösen konnte, und überhaupt ist es komisch, mitten in einer Beerdigung an die eigenen emotionalen Kräfte erinnert zu werden, was, meiner beschränkten Erfahrung nach, der Augenblick ist, in dem man jedes Gefühl dafür verliert.
»Sie kommt schon in Ordnung«, sagt Liz entschieden. »Aber es ist hart, wenn man seine gesamte Kraft in einen Aspekt seines Lebens investiert, um plötzlich festzustellen, daß es der falsche Aspekt gewesen ist.« Sie wirft mir einen schnellen Blick zu, plötzlich betreten oder schuldbewußt oder sonstwas.
»Kümmert euch nicht um mich«, sage ich ihnen. »Wirklich. Kein Problem. Tut einfach, als würdet ihr von jemand anders reden.« Ich meinte es freundlich, ehrlich, das hab' ich. Ich habe einfach zu sagen versucht, daß ich, sollten sie Lauras Liebesleben diskutieren wollen, in allen Einzelheiten, nichts dagegen hätte, besonders und gerade heute nicht.
Jo lächelt, aber Liz wirft mir einen langen Blick zu. »Wir reden über jemand anderen. Laura. Laura und Ray, um genau zu sein.«
»Das ist nicht fair, Liz.«
»Oh.« Sie hebt eine Augenbraue, als hätte ich eine Lippe riskiert.
»Und sag nicht so blöd ›Oh‹, Scheiße noch mal.« Einige Leute sehen sich um, als ich das schlimme Wort benutze, und Jo legt ihre Hand auf meinen Arm. Ich schüttle sie ab. Plötzlich koche ich vor Zorn, und ich weiß nicht, wie ich mich ruhig halten soll. Es kommt mir vor, als hätte ich die
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