High - Genial unterwegs an Berg und Fels
nicht. Wie sollte es irgendwer sonst wissen.
Die Qualifikation beginnt, und ich starte mäßig. Ich kriege den ersten Boulder in ein paar Versuchen hin. Beim zweiten ärgert es mich ganz oben, sonst wäre ich als einer der wenigen durchgestiegen. Den dritten steige ich durch, den vierten schaffe ich nicht. Also ist klar, dass ich den fünften durchsteigen muss, sonst kann ich mir das Halbfinale aufzeichnen.
Ganz am Anfang ist ein Sprung aus einer überhängenden Wand an die Kante zu erledigen. Ich probiere den Sprung ein paar Mal und bin mir sicher, dass ich ihn schaffen kann – auch wenn ich nicht sicher bin, dass es in der verbleibenden Zeit klappt. Es ist ein komischer Sprung, eine Bewegung, die mir nicht gelingen will – und ich erwische den Scheißgriff nicht.
Ich springe, ich fliege auf die Matte.
Ich springe, ich fliege auf die Matte.
Ich springe fünfmal, ich fliege fünfmal auf die Matte.
Beim Bouldern ist es egal, wie lang du für das Problem brauchst – Hauptsache, du schaffst es in der vorgegebenen Zeit. Erst wenn die letzte Minute angesagt wird, weißt du, dass du wirklich Gas geben musst.
Ich bin zehnmal gesprungen und geflogen, und langsam werde ich zornig. Der Boulder, den ich zu bewältigen habe, ist lang, er startet mit dem Scheißsprung, dann quert er nach rechts in eine Platte, eine nicht ganz senkrechte Wand, von dort nach oben. Ich springe noch einmal.
Und falle.
Noch einmal.
Ich falle wieder.
Herrgott. Knacke ich jetzt den Sprung oder knackt er mich?
Als der Schiedsrichter die letzte Minute ansagt, bin ich fünfzehn Mal gesprungen und gefallen. Normalerweise kriegst du die Probleme schneller in den Griff.
Schön langsam nehme ich die Sache persönlich. Ich falle noch zweimal, aber im achtzehnten Versuch habe ich den blöden Griff endlich in der Hand, und während das Publikum, das mich längst abgeschrieben hatte, wieder aufwacht und statt bedauerndem Raunen nach jedem Sturz das »Allez, Fuzzy« anstimmt, das ich echt gern höre, klettere ich den Boulder rasant zu Ende und erwische den Topgriff drei Sekunden, bevor die Zeit zu Ende ist.
Als Achtzehnter des Qualifikationsdurchgangs rutsche ich ins Halbfinale. Ums Arschlecken, wie wir in Tirol sagen.
Dem Publikum taugt es natürlich, dass ich wie ein Löwe darum gekämpft habe, weiterzukommen, die machen einen super Krach. Der Peter steht da und strahlt. Das ist das Angenehme bei diesem Menschen: Er muss gar nicht erst etwas sagen, und du weißt ganz genau, woran du bist. Außerdem hätte man bei dem Wirbel in der Halle eh nichts verstanden.
Ich bin auch – froh wäre das falsche Wort. Ich kann in entscheidenden Momenten sehr stur werden, dann kommt es mir vor, als ob ich Probleme zerreiße. Diesen blöden Sprung zum Beispiel, den habe ich zerrissen. In der Quali auszuscheiden, das wäre nicht infrage gekommen, das interessiert mich nicht. Und wie man sieht, hat mein Sturschädel recht behalten.
Die meisten Kletterer sind Sturschädel. Sie müssen es sein. Es gibt so viele Situationen – in der Halle, aber auch am Fels –, wo deine Unterarme nicht mehr wollen, wo sie übersäuert, »gepumpt«, sind und kein Zug mehr möglich ist. Aber du willst trotzdem weiter. Willst rauf. Um jeden Preis. Manche von uns beginnen dann zu schreien. Der amerikanische Kletterhero Chris Sharma schreit zum Beispiel dauernd, das sieht man auf den Videos, um sich noch einen Zug weiter zu pushen. Beim Wettkampf geht der eigene Schrei, das animalische Knurren, oft im Jubel des Publikums unter. Aber du selbst hast dich schreien gehört. Du hast gehört, wie es in dir schrie. Manchmal aber hörst du nicht einmal das. Erst am Boden fragen dich deine Kollegen, warum du geschrien hast wie eine Sau, die man gerade absticht.
Im Halbfinale lief es genial. Kilian und ich trieben uns gegenseitig ins Finale. Kilian war stark. Er löste die vorgegebenen Probleme auf enorm vielseitige, fantasievolle Weise. In seiner Vielseitigkeit unterscheidet er sich von den meisten anderen Boulderern. Als Sportstudent, Radfahrer und Skifahrer bringt er eine ausgezeichnete Mo torik mit, die ihm in der Boulderwand, vor allem bei technisch schwierigen Problemen, hilft. Je besser Kilian kletterte, desto größer war meine Motivation. Souverän kamen wir beide ins Finale.
Ich hatte im Finale Unterstützung. Das Publikum begleitete jeden Zug, den ich machte, mit Applaus und Begeisterung. Kilian kriegte natürlich auch Unterstützung, aber als Newcomer, der in der Qualifikation
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